Jeder hat sein vermeintliches Päckchen zu tragen, auch der General. Foto: Susanne Müller-Baji

Das Theaterensemble „Komitee Komplett“ nimmt im Fairkauf in Stuttgart-Feuerbach mit dem Stück „Eine Stille für Frau Schirakesch“ den Mitleids-Tourismus von Talkshows auf die Hörner.

Feuerbach - Wer sich schon einmal gefragt hat, woher die professionellen Selbstdarsteller bei Maybrit Illner, Anne Will und Co. ihre betroffenen Gesichter nehmen: Die aktuelle Produktion „Eine Stille für Frau Schirakesch“ verrät es und nimmt in den 77 Minuten bis zur Schweigeminute den Mitleids-Tourismus der Talkrunden gewaltig auf die Hörner. Am Samstag feierte das Feuerbacher Ensemble Komitee Komplett mit dem Stück von Theresia Walser im Fairkauf Premiere.

Regelmäßige Theatergänger wissen es bereits: Bei den Produktionen von Komitee Komplett geht es gerne mal schräg und gesellschaftskritisch zu. Dieses Mal wird es zudem noch laut. Dabei hat sich die pseudo-illustre Runde zusammengefunden, um eine Schweigeminute für Frau Schirakesch einzulegen, die im fernen Tschundakar auf ihre Steinigung wartet. Nicht ganz unschuldig daran sind die beiden Schönheitsköniginnen, die mit ihrer Bikini-Parade in dem islamischen Land bürgerkriegsartige Zustände ausgelöst haben. Während die eine (Jasmin Stiegler) das zumindest ahnt – „Manche Dinge hätten einfach nicht gesagt werden dürfen!“ – macht sich die andere (Dinorah Luz Bonilla-Torres) eher Sorgen, weil sie beim Warten im Studio „an den Haarwurzeln schwitzt“.

Auch die übrigen Gäste der exzentrischen Talkmasterin Tilda Ludowsky (Mariangela Toso) haben ihr vermeintliches Päckchen zu tragen: Der General „Herr Gert“ (Rostislav Svoboda) hätte gerne einen Stuhl, weil es sich darauf „mit mehr Würde sitzt“. Die traumatisierte Soldatin (Daniela Tost) hat sich ein Ohr vom Kriegseinsatz mitgebracht und ihren Vater (Willi Hauptvogel) zieht es als Sprachrohr der Tochter mit aller Macht ins Rampenlicht.

Blödsinnigkeit einer Bikiniparade wird offenbar

Und so spult bald auch jeder seine Betroffenheitsnummer ab, und man weiß nicht so recht, ob das eher zum Lachen oder zum Weinen ist. Als dann der Vater quasi als Schirakesch-Ersatz von der Runde verschleiert wird und die Schönheitskönigin Heidrun im krassen Gegensatz dazu fast alles entblößt, da wird die Blödsinnigkeit einer Bikiniparade in Tschundakar überdeutlich. Und dem Theaterbesucher wird unangenehm bewusst, dass er ja ebenso wie die Talkshow-Gäste als Voyeur in den improvisierten Rängen aus Fairkauf-Sofas Platz genommen hat, „während in Tschundakar eine Frau bis zum Hals eingegraben und gesteinigt wird, Stein um Stein, bis nur noch eine blutige Masse bleibt“, wie die Talkmasterin immer wieder anführt.

Erwartungsgemäß werden die „77 Minuten bis zur Stille“ unter der Regie von Markus Klemenz ohrenbetäubend laut. Worunter bisweilen ein wenig die Verständlichkeit leidet; das wird sich bei den kommenden Aufführungen aber wohl noch einpendeln. Auch wenn Frau Schirakesch zusehends in den Hintergrund tritt: Es werden die Minuten bis zur Steinigung heruntergezählt, es wird seelengestrippt, gewütet, und es fließt sogar ein bisschen (Film-)Blut. Die Betroffenheit zur Schweigeminute ist denn auch fast echt, freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Aber es ist schließlich allein die Außenwirkung, die zählt.

Termine

Weitere Aufführungen von „Eine Stille für Frau Schirakesch“ finden am Wochenende, 26. und 27. November, sowie im neuen Jahr am 28. und 29. Januar und am 4. und 5. Februar im Gebrauchtwaren-Kaufhaus Fairkauf, Steiermärkerstraße 53, statt. Beginn ist samstags jeweils um 20 Uhr und sonntags um 19 Uhr.

Kartenreservierung und weitere Infos unter www.komitee-komplett.de oder unter der Mobilfunknummer 0175/23 00 846 (ab 19 Uhr).