Schorsch Kamerun führt Regie im Schauspielhaus. Foto: Leif Piechowski

Schorsch Kamerun führt zum ersten Mal Regie in Stuttgart. Bei der Premiere am 28. März wird der Mitbegründer der Punkband Die goldenen Zitronen auch singen.

Schorsch Kamerun führt zum ersten Mal Regie in Stuttgart. Bei der Premiere am 28. März wird der Mitbegründer der Punkband Die goldenen Zitronen auch singen.

Stuttgart - Schorsch Kamerun (50) ist ein viel gefragter Mann. Er hat das Deutsche Schauspielhaus Hamburg bespielt, an den Münchner Kammerspielen wilde Abende mit Josef Bierbichler inszeniert und kapitalismuskritische Revuen, Schaumpartys und Theaterspektakel in Zürich, an der Volksbühne Berlin, bei den Ruhrfestspielen und den Wiener Festwochen veranstaltet. Jetzt ist Schorsch Kamerun zum ersten Mal im Stuttgarter Schauspielhaus zu erleben. Das hat sich auch deshalb so ergeben, erzählt er, weil er mit dem leitenden Dramaturgen Jan Hein auch schon an anderen Orten zusammengearbeitet hat.

Der von der Kunstrichtung Fluxus inspirierte Abend „Denn sie wissen nicht, was wir tun“ ist eine Zusammenarbeit des Theaters mit der Staatsgalerie. Einigermaßen naheliegend, diese Liaison, haben doch Fluxus und die Musik, die Schorsch Kamerun mit der Punkband „Die goldenen Zitronen“ seit Jahrzehnten macht, einiges, zumindest die Distanz zu allem Etablierten, gemeinsam. Es soll im Foyer des Hauses denn auch kein klassisches Theaterstück geben. Geplant ist eine begehbare Konzert-Installation. Während einer Probenpause ist Zeit für einen Redeparcours mit dem Musiker und Regisseur.

Schauspielhaus

Ein Mann schleppt Steine, groß wie Kleinkinder. Sie sind aber nur aus Pappmaschee, ebenso wie das Mäuerchen im oberen Foyer des Schauspielhauses. Von dort aus hat man Aussicht auf das untere Foyer, wo zum Beispiel ein grünglasiger Pavillon neben einem himmelblauen Kunstsee zu sehen ist. Aus dem Off eine Lautsprecherprobe, „Eins, eins, eins, haaa.“ Zwischen all den Technikern und Handwerkern ein Fotograf, der Schorsch Kamerun zu einem Lächeln ermuntert. „Es ist eine witzige Welt“, sagt der und lächelt dann doch. Er posiert neben Schweinwerfern und stellt sich auf ein Gerüst, das mit einer goldorangefarbenen Rosette verziert ist. Skeptischer Blick von Schorsch Kamerun. „Gar nicht so leicht, sich in diesem sehr geordnetem Raum bemerkbar zu machen“, sagt er und blickt sich um, es ist alles neu hier; er scheint aber schon mal ganz zufrieden.

Katja Eichbaum hat den Raum maßgeblich gestaltet. „Sie hat sich von Parcourssituationen, von Stadt- und Eventarchitektur inspirieren lassen“, sagt Schorsch Kamerun. Es ist nicht das erste raumgreifende Spektakel, das Kamerun inszeniert. Nach Pudel-Galas, Revuen und Schaumpartys, mit denen der Musiker und Regisseur die großen Bühnen der Republik beglückte und die Altersquote der Zuschauer empfindlich senkte, hat er sich in jüngster Zeit eher dieser Art Performance zugewandt. Auch in Köln war das zuletzt so, bei „Der entkommene Aufstand“, einem Abend über Utopien und Bürgerrevolten.

Eckensee

Teil der begehbaren Installation ist auch eine Bar, die von den Waggonbar-Machern betrieben werden soll. Weil im Theater jetzt gehämmert wird, setzt sich das Gespräch draußen fort. Das Theatercafé hat mal wieder zu, aber man kann ja um den Eckensee gehen. Dass es hier, am „schönsten Platz der Stadt“, nicht viel mehr Cafés gibt, wundert Schorsch Kamerun. Vielleicht fällt ihm das besonders auf, da er sich zwei Dingen befasst: Teilhabe und Plätze. „Fluxus“, sagt Schorsch Kamerun „hat mich schon immer interessiert.“ Aber mal ehrlich, ist Fluxus nicht ein neuer alter Hut, hätte man sich nicht mit aktueller Kunst befassen können im Theater, dieser Hier-und-Jetzt-Kunstform? Die Zusammenarbeit des Schauspiels mit der Staatsgalerie und ihrer Fluxus-Sammlung war, so sieht es Schorsch Kamerun, „Chance und Problem“ zugleich, denn man kann diese in den 1960ern erfundene Kunst nicht eins zu eins ins Heute kopieren. „Das wäre leider kraftlos. Was damals radikal war und eine Befreiung, ist jetzt mehr als durchgesetzt.“ Dass jeder Mensch ein Künstler sein soll zum Beispiel – „heute geradezu eine Grundanforderung“, sagt Kamerun und erzählt von einer Stuttgarter Bio-Apfelverkäuferin, die für sich mit einem Youtube-HipHop-Video wirbt. Er setzt an der visionären Vernetzungslust der Fluxuskünstler an, „sie haben sich in ihren Arbeiten, Happenings aufeinander bezogen.“ Vom Netzwerk kommt man schnell zum Internet und zum Unbehagen daran – auch der jüngeren Generation.

Doch noch ein Café

Der Eckensee ist inzwischen umkreist, aber es gibt noch einiges zu bereden. Und so geht es halt ins Café des Hotel Schlossgarten ge-genüber des Theaters. Gerade als Schorsch Kamerun erzählt, dass er – Stichwort Occupy und andere Protestbewegungen – eine „Renaissance des Platzes“ beobachte und „eine Lust an der analogen, physischen Begegnung“, wird er von einem Schwarm französischer Schüler umkreist. „So schnell wird man Teil von etwas“, sagt er. Und das führt ihn gleich wieder zum nächsten Thema: Zufall und Experimente. „Ich finde es schade, dass die Experimentierlust im Theater und im Leben so abnimmt und das Wirtschaftliche, das Planbare, die Selbstoptimierung so zunimmt“, sagt er. So wird es bei seinem Abend, wo er auch selber singen wird, zum Beispiel Zufallsexperimente ei- nes Stuttgarter Posaunenchor geben, da wird unter anderem ein Buch des umstrittenen Autors Thilo Sarrazin zerlegt und anders zusammengesetzt. Auch dabei sind Künstlergruppen, Zufalls- und Zeitforscher, Schauspielerinnen, eine Tänzerin, Bands, Barbetreiber und DJs; macht ein Ensemble von fünfzig Menschen.

Schorsch Kamerun hat in Gesprächen und Proben mit ihnen allen den Text erarbeitet und danach collagiert. Da gibt es einiges zu koordinieren, gleich wird also wieder geprobt. Davor geht es dann aber noch um die Haltung, die so eine Inszenierung ästhetisch bestimmt, um Leidenschaft und Distanz, um eine Antibewegung: „Pathos bei gleichzeitiger Ablehnung. So wie bei David Bowie zum Beispiel“ oder wie bei Schauspielern wie Josef Bierbichler, André Jung, Sandra Hüller, mit denen er gearbeitet hat. Und es geht um die Hoffnung, dass die Leute, die sich durch seine Installation bewegen werden, sich „eingeladen“ fühlen. Denn die Theater, noch recht frei von Sponsorship, sollen Orte der Begegnung, und überhaupt, ginge es nach Schorsch Kamerun, noch offener sein.

„Stuttgart x Blicke: Fluxus – Analoge Netzwerker“ heißt ein Gespräch an diesem Samstag um 17 Uhr im Foyer des Schauspielhauses zwischen Schorsch Kamerun und den Kunsthistorikern Bettina Kunz und Steffen Egle über die Avantgarde-Bewegung der 1960er Jahre und ihre noch heute aktuellen Strategien. (Freier Eintritt). Die Premiere ist knapp eine Woche später am 28. März um 21 Uhr am selben Ort. Karten: 07 11 / 20 20 90. Nach allen Vorstellungen als Zugabe ein Konzert.