Läuft wieder zu großer Form auf, am Ende aber ein wenig ins Leere: Quentin Tarantinos langjähriger Mitstreiter Samuel L. Jackson Foto: Universum

Ein Blutbad gibt es immer, wenn Quentin Tarantino einen Film macht. Eine Frage teilt sein Œuvre in große und weniger große Werke: Zeigt er Gewalt als Mittel der Kunst oder um ihrer selbst Willen? In „The Hateful Eight“ scheint er sich erstmals selbst nicht sicher gewesen zu sein.

Wyoming - Im verschneiten Wyoming passiert eine Kutsche einen vereisten Gekreuzigten. An Bord: ein Kopfgeldjäger und seine Gefangene. Ein zweiter Kopfgeldjäger mit einem Haufen gefrorener Leichen steigt zu, kurz darauf ein geschwätziger Zeitgenosse, der sich als neuer Sheriff von Red Rock ausgibt. Alle kennen einander aus dem blutigen Bürgerkrieg, der tiefe Wunden geschlagen und die Krieger in eine ungewisse Zukunft entlassen hat. Die USA 1865: eine zerrissene Nation von Glücksrittern und Strauchdieben auf der Suche nach sich selbst.

So jedenfalls spitzt Quentin Tarantino die historische Lage zu in seinem zweiten Spätwestern in Folge, der schnell zu einem jener subtilen, schön dekorierten Kammerspiele wird, die er seit „Inglourious Basterds“ mit großer Lust inszeniert. Die Passagiere suchen Zuflucht in einer Hütte, in der sie nicht deren Bewohner treffen, sondern eine Kleingruppe dubioser Charaktere wie sie selbst.

Nun folgt ein Abtasten mit allen Mitteln – wehe dem, der seine Deckung verlässt oder die Maske verliert. Mit diebischem Vergnügen lässt Tarantino die Figuren einander umkreisen. Gerne ist man bis hierhin bereit, die extrem artifizielle Anordnung, die zufälligen Wiedersehen, die zu prächtigen Kostüme zu akzeptieren als theatralisches Vergrößerungsglas, als bewusst konstruierte Ansammlung personifizierter Befindlichkeiten der waidwunden USA: Nord- und Südstaatler, Rebellen und Deserteure, Mörder und Opfer, Weiße, Afroamerikaner und sogar ein verirrten Mexikaner.

Kopfgeldjäger und Gefangene wirken wie ein altes Ehepaar

Das Ensemble ist eine Offenbarung. Mit offenem Visier spielt Kopfgeldjäger John Ruth, den der Steckbrief-Zusatz „tot oder lebend“ nicht interessiert – er liefert die Beute immer lebend, weil er sie so gerne hängen sieht. Kurt Russel („Die Klapperschlange“) gibt ihn als bärtiges Raubein, das permanent fluchend mit dem verlängerten Lauf seines Revolvers herumfuchtelt. An sein Handgelenk gefesselt: Eine gut aufgelegte Jennifer Jason Lee („Short Cuts“), die als Gaunerin Daisy schon im ersten Bild ein blaues Auge hat, trotzdem frech die schwarzen Zähne bleckt, die Zunge herausstreckt und lästert, worauf sie sich weitere Blessuren einfängt – bald klebt ihr ganzes Gesicht vor Dreck und Blut. Dann wieder helfen die beiden einander wie ein altes Ehepaar – meisterhaft zelebriert Tarantino solche Widersprüche.

Ein Wiedersehen gibt es mit Tim Roth und Michael Madsen, beide schon in „Reservoir Dogs“. Roth als Engländer Owaldo – sein distinguiertes Britisch wird in der Synchronisation verlorengehen – scharwenzelt charmierend durch die Hütte, gibt sich als Henker von aus und irritiert mit wachen Augen und einem zutiefst irritierenden Lächeln. Madsen erscheint als weicher Koloss, der ruhig in einer Ecke sitzt und schreibt – im Westen eine Tätigkeit, die schnell Verdacht erregt.

Samuel L. Jackson („Pulp Fiction“) als Major Warren wartet zunächst im Hintergrund – sein Auftritt wird kommen mit großen Gesten und donnernder Stimme. Im Sessel vor dem Kaminfeuer glänzt Bruce Dern („Nebraska“) einmal mehr als alter Grantler, und Channing Tatum („Magic Mike“) profiliert sich als aalglatter Charismatiker, der mit einem Blick Situationen einordnen, mit einem Wort Truppen dirigieren kann.

Rückschlüsse auf höherer Ebene bleibt Tarantino schuldig

Nach eineinhalb Stunden entgleist die Situation – wie erwartet, wie bei Tarantino üblich. Dieser indes scheint sich nicht sicher gewesen zu sein, was er erzählen wollte. Ein weiteres Plädoyer gegen Rassismus? Wirkt beim aktuellen Blutbad weit weniger zwingend als bei dem in „Django Unchained“, das als symbolischer Racheakt an der Sklaverei an sich interpretiert werden konnte.

Ein weiteres mörderisches Rätselspiel über sich nicht lohnendes Verbrechen wie in „Reservoir Dogs“ (1992), wo Ganoven einander dezimieren über die Frage, wer wen verraten hat? Dafür erscheint der Kollateralschaden unter Unbeteiligten viel zu hoch, selbst für Tarantinos Verhältnisse. Ein kritischer Blick auf die wüste Barbarei, auf der die Nation sich nach dem Bürgerkrieg neu gründete? Das kaltblütige Abschlachten, wie man es selten gesehen hat, mag die Gesellschaft jener Zeit an den Pranger stellen – Rückschlüsse auf höherer Ebene bleibt Tarantino schuldig.

Besonders deutlich wird dies im direkten Vergleich zu John Macleans Spätwestern „Slow West“ (2015), der weit exemplarischer das gesamte Gesellschaftableau aufbot inklusive Indianern und Immigranten. Er vermittelte ein starkes Gefühl dafür, wie sehr Mörder, Diebe und Opportunisten den Charakter einer Nation prägen können.

Wahrhaft groß ist die Musik von Ennio Morricone

Auch seines Handwerks scheint sich Tarantino nicht sicher gewesen zu sein. In deplatzierten Voiceover-Passagen erklärt er Schlüsselmomente, obwohl er die Bilder dazu hat, per Texteinblendung markiert er einen jener Zeitsprünge, die selbst zu entschlüsseln in der verschachtelten Chronologie von „Pulp Fiction“ einen großen Teil des Reizes ausmachte. Und natürlich sind knapp drei Stunden viel zu lang – wie bei „Kill Bill“ war Tarantino so verliebt in seine eigenen Bilder, dass er darüber das Maß verloren hat.

Wahrhaft groß ist die Musik von Ennio Morricone: Wie einst in „The Good, The Bad And The Ugly“ (1966) und „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968), den großen Spätwestern von Sergio Leone, verleiht er nun „The Hateful Eight“ unterschwellige Spannung – mit orchestralen Klängen, die wirkungsvoll den Horror unterstreichen. Dass der 87-jährige Italiener den Auftrag angenommen hat, ist für den bekennenden Leone/Morricone-Fan Tarantino ein Adelsschlag.

Gerne würde man diesen Film mögen wie „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“; er macht es einem nicht leicht.