Der Grund für den Gefängnisaufenthalt bleibt im Dunkeln: Armstrong in seiner Zelle - mehr Bilder in unserer Bildergalerie Foto: Verleih

Der Tübinger Marcus Vetter porträtiert in einem Dokumentarfilm-Thriller den Wirtschaftspropheten Martin Armstrong. 1999 klopfte das FBI an, Armstrong wurde aufgrund angeblichen Betrugs über zwölf Jahre lang wiederholt in Beugehaft gesteckt. Ohne Prozess.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "The Forecaster"

Kennen Sie das, wenn Sie Ihr gesamtes Kapital mal wieder hoffnungslos fehlinvestiert haben, die Gemeinschaft „Schwamm drüber!“ ruft und Ihnen jeden Cent erstattet? Nein? Dann sind Sie wohl keine Bank. Einer solchen helfen Europäer bekanntlich eifriger als ertrinkenden Flüchtlingen. Wieso aber retten sich die Finanzmärkte meistens nur vom Regen in die Traufe, vom aktuellen Crash in die nächste Krise? Und warum lässt man sich diese Dauerkalamität eigentlich bieten?

Der Wirtschaftsprophet Martin Arm-strong sieht den Fehler im System. Es gebe genau ein Land, lässt er wissen, das seine Staatsschulden einmal beglichen hat: Rumänien, 1980. In etwa zu dieser Zeit entwickelte Armstrong ein in puncto Datenreichtum einzigartiges Computermodell, mit dem er beispielsweise die Russlandkrise 1998/99 voraussagte, die Dotcom-Blase 2000 und die Finanzkrise 2007.

1999 klopfte das FBI an, Armstrong wurde aufgrund angeblichen Betrugs über zwölf Jahre lang wiederholt in Beugehaft gesteckt. Ohne Prozess. Hackerangriffe auf seinen zukunftsberechnenden Code lassen sich wohl nach Langley, Virginia, zurückverfolgen. Dort steht das Hauptquartier der CIA.

Dass das recht spannend klingt, fand auch Regisseur Marcus Vetter. Mit „The Forecaster“ will er Zuschauer für die Schuldenpolitik sensibilisieren. Das Interesse an diesem Martin Armstrong wird jenes an den Märkten allerdings übertreffen. So gelingt Vetter vor allem ein spannender Dokumentarfilm-Thriller.

"Natürlich steckt da eine Verschwörungstheorie drin"

Über die Gründe für den Gefängnisaufenthalt Armstrongs verrät der Streifen leider wenig, es geht um Geschäfte mit japanischen Investoren. Man kann ihm Einseitigkeit ankreiden. Vetter hat für diese Kritik Verständnis: „Natürlich steckt da eine Verschwörungstheorie drin. Die Akten des Falls allein sind drehbuchtauglich, aber das wäre zu kompliziert geworden. Selbst ich hatte anfangs Schwierigkeiten, alles zu verstehen!“

Vetter studierte European Business Management. „Es war der schwerste Film, den ich jemals gemacht habe“, sagt der dreifache Grimme-Preisträger und Regisseur von „Hunger“ und „Der Tunnel“. „Ich habe um mein Leben geschnitten.“

Kürzlich besuchte Armstrong Stuttgart. In welcher Lokalität trifft man einen Multimillionär? Wie schnell feuert einen der Verlag, wenn man Interviewspesenabrechnungen aus sündhaft teuren Edelschuppen einreicht? Zum Glück saßen Armstrong und Vetter bei einem Italiener, wo zur Mittagszeit auch Schüler und Studenten gerne preiswerte Pasta verputzen.

Für Statussymbole, Szeneclubs und Treffen der Wohlbetuchten – fürs banale Kohlescheffeln per se – interessiert sich Armstrong nur bedingt, der in einem Haus mit seiner Mutter lebt. Ihn reizt das große Ganze, der Mechanismus, der Zyklus der Historie.

Skeptiker fragen im Gegensatz zum Film, ob der Mann denn auch falsche Prognosen erstellt. „Nein“, antwortet er bar jeglicher Ironie, „es ist unmöglich, sich zu irren, wenn man verstanden hat, dass alles auf der Welt miteinander zusammenhängt. Würde ich einmal falschliegen, läge ich immer falsch.“

„The Forecaster“ zeugt auch von Armstrongs Resozialisierung. Er trifft alte Freunde und Partner, hält Reden. Drei Monate nach der Haftentlassung lauschen ihm 350 Leute aus der ganzen Welt bei der „World Economic Conference“ in Philadelphia. Armstrong: „Sie sagten: ‚Wir wollten uns vergewissern, dass es wirklich du bist.‘ Man misstraut der Regierung.“

Tatsächlich erweckt nicht nur der Streifen, sondern auch Armstrong selbst den Eindruck, dass in seiner Sache Einseitigkeit angebracht sein könnte. Er kennt die Institutionen, ihre Leiter, die Geschichte, das Geschäft. Freilich sollte ein Dokumentarfilm jedoch einen möglichst objektiven, umfassenden Blick auf das Sujet bieten. Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich verschmerzen, da sich die Story ins Gedächtnis brennt und nachhaltiges Interesse schürt.

Ach, eins noch: Man lasse die Finger von Staatsanleihen. Am 1. Oktober komme der Crash.

Unsere Bewertung zu "The Forecaster": 4 von 5 Sternen - empfehlenswert!

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