Henri Leconte: Der Franzose ist auch heute noch immer für einen Lacher bei einem Tennis-Match gut Foto: Baumann

Die French Open hat Henri Leconte nie gewonnen, doch das stört ihn nicht – der 51 Jahre alte Franzose denkt gerne an alte Zeiten zurück und ist glücklich mit seinem Leben. Und er erzählt im Interview von seiner großen Leidenschaft.

Monsieur Leconte, am nächsten Sonntag beginnen die French Open. Wie populär ist Tennis in Frankreich?
Wir haben Gilles Simon, Gael Monfils, Jo-Wilfried Tsonga – das sind drei unter den Top 20 der Welt. Das kann sich sehen lassen, und auch dahinter kommen junge, starke Spieler. Aber wir brauchen einen Topstar, einen, der einen Grand Slam gewinnen kann oder zumindest bis ins Finale kommt. Wir brauchen einen, der als Vorbild taugt, zu dem die Kinder aufschauen können; über den sie sagen: So wie der, so will ich werden.
Was trauen Sie Ihren Landsleuten zu?
Gael Monfils ist sehr konzentriert und fokussiert, er sollte bereit sein. Aber da sind ja auch Rafael Nadal, Novak Djokovic, Roger Federer. Warten wir bis in die zweite Turnierwoche, dann sehen wir klarer, wer bereit ist für einen Triumph.
Boris Becker ist als Coach von Djokovic dabei.
Freut mich für ihn, ich mag Boris. Es ist für ihn nach einer Zeit, in der er mit vielen Problemen zu kämpfen hatte, schön, wieder in den Tennis-Zirkus zurückzukehren. Ich glaube, das braucht er. Und ich glaube auch, dass er Novak mit seiner Erfahrung helfen kann.
Boris Becker hat . . .
Ich erinnere mich sehr, sehr gerne an meine Matches mit Boris. Er hat mich immer in Frankreich geschlagen, ich ihn in Deutschland. Einmal hat er in Hamburg zu mir gesagt: Ich werde dich bei den French Open besiegen. Du?, habe ich gesagt, du schlägst mich nie auf Asche – und in Roland Garros habe ich ihn in fünf Sätzen geschlagen. Danach hat er gemeint: Dafür schlage ich dich in Wimbledon! (Pause) Es war wirklich eine tolle Zeit, gerade mit Boris. Auch Deutschland mag ich sehr; es ist eine zweite Heimat.
Tatsächlich?
Ja, ich bin immer gerne zu den Turnieren gekommen, besonders nach Stuttgart. Weil wir oft nach Hockenheim gefahren sind, mit Klaus Ludwig (DTM-Pilot, Anm. d. Red.) sind wir über die Strecke gerast, wir haben den Mercedes-Tuner AMG in Affalterbach besucht – es war immer etwas Spezielles.
Sie mögen Motorsport?
Sehr. Kürzlich durfte ich mit Bernd Mayländer (Safety-Car-Pilot der Formel 1, Anm. d. Red.) in einem Mercedes GTS in Hockenheim über den Kurs fahren, erst saß er am Steuer, dann ich. Vor fünf Jahren saß ich im Renntaxi neben Bernd Schneider (mehrmaliger DTM-Champion, Anm. d. Red.). Super!
Sind Sie lieber Fahrer oder lieber Co-Pilot?
Was für eine Frage – Fahrer natürlich. Ich habe ja ein wenig Rennerfahrung, ich bin bei Langstreckenrennen in Spa und in Silverstone schon gestartet. Das ist meine Leidenschaft. Als Junge wollte ich immer Rennfahrer werden, doch ich war zu groß; damals in den 1980ern musstest du klein sein – also bin ich Tennis-Profi geworden.
Hatten Sie Kontakt zur Formel 1?
Natürlich, Alain Prost, Jacques Laffite, René Arnoux, mit denen kam ich häufig zusammen, ich habe auch Ayrton Senna getroffen, zuletzt wenige Tage vor seinem Tod 1994. Später traf ich häufig bei den Rennen Damon Hill und auch David Coulthard.
Sie sind verrückter nach Autos als nach Tennis?
Oh, nein. Wenn ich so fahren würde, wie ich Tennis gespielt habe, dann wäre ich schon tot. Beim Golf geht mir das ähnlich, da versuche ich, immer ruhig zu bleiben . . .
. . . was aber nicht immer gelingt?
Selten. Aber so ist das mit der Persönlichkeit eben, die kannst du nicht einfach verändern. Das geht nicht, du kannst daran arbeiten, aber im Grunde bleibst du immer du selbst.
Mit dem Alter wird man in Deutschland ruhiger. Gilt das in Frankreich nicht?
Im Alter hat man mehr Lebenserfahrung, daher geht man Dinge etwas gelassener an. Aber bei mir ist immer eine Prise Verrücktheit dabei. Andererseits stimmt es schon, dass man ruhiger wird. Ich stelle das in den Autorennen fest, da sind die jungen Burschen dermaßen frech und draufgängerisch – die denken einfach nicht drüber nach, was passieren kann. Wenn du jung bist, glaubst du, du seist unverwundbar.
Als Sie jung waren, da war Tennis in Deutschland ganz groß. Boris Becker, Steffi Graf . . .
Stephanie. Sagen Sie nicht Steffi.
Darf man nicht?
Nein. (Lächelt) O.k., Sie dürfen Steffi sagen.
Auch Sie waren in Deutschland sehr populär.
Ja, wenn man einen wie Boris in seinem Heimatland schlägt, dann ist man ein Held. Und weil die Matches manchmal richtige Schlachten waren, wird man populär.
Und weil Sie ein lustiger Kerl sind.
Ich genieße das Leben, ich gehe alles positiv an. So bin ich. Wenn ich schlecht gelaunt bin, dann bleibe ich zu Hause. Man muss immer man selbst sein, man darf sich nicht in eine Rolle pressen lassen.
In die Rolle des Clowns?
Ein Clown bin ich nicht, so darf man mich nicht nennen. Clown wird einer genannt, der auf Bestellung lustig wird. Oder ein Clown ist einer, der nichts erreicht hat in seinem Metier und nur Dummheiten macht. Ich war Nummer fünf der Welt, ich habe den Daviscup gewonnen, ich habe alle Großen des Tennis in meiner Zeit geschlagen, wie Pete Sampras oder Boris Becker. Ich bin kein Clown. Ich habe einen Sinn für Humor, ich bin ein lustiger Kerl. Das bin ich.
War das nie schwierig, im Tennis den lustigen Typen auszuschalten?
Wieso? Ich musste mich nur konzentrieren.
Gelegentlich haben Sie doch auch während der Spiele Ihre Faxen gemacht.
Kennen Sie das nicht auch? Dass Sie in Ihrem Job plötzlich in einer schwierigen Phase stecken, in der der Druck unerträglich wird? Dann brauchen Sie ein Ventil. Und weil ich ein positiver Mensch bin, habe ich auf diese Weise den Druck abgebaut.
Funktioniert das heute auch noch?
Kaum. Heute schwirren so viele Leute um einen herum, Manager, Veranstalter, Sponsorenvertreter, Reporter, Fans. Es ist wahnsinnig schwierig geworden, sein Ich zu bewahren. Alles ist so geregelt. Wenn ich früher ein Interview gegeben habe, konnte ich sagen, was ich wollte; ich konnte ehrlich sein. Heute sind doch viele Worte tabu, und jeder passt auf, was er sagt.
Sind Sie froh, dass Ihre aktive Zeit vorbei ist?
Sagen wir es so: Ich bin froh, dass ich damals so eine tolle Zeit hatte. Tennis war sehr populär, das ist heute nicht mehr so, vor allem in Deutschland. Wären die großen Sponsoren nicht, wäre Tennis längst tot. Warum? Weil es keine Stars mehr gibt wie Boris oder Steffi oder Michael Stich. Ein Eric Jelen oder Carl-Uwe Steeb waren Daviscup-Stars.
Ohne Stars geht es nicht?
Nein, in Deutschland brauchst du Superstars. Was wäre die Bundesliga ohne Bayern München? Franck Ribéry ist hier ein Star, in Frankreich nicht.
War bei Ihnen anscheinend ähnlich.
Die Leute mochten mich in Frankreich, aber in Deutschland liebten sie mich.
Warum sind Sie kein Idol in Frankreich?
In Frankreich sind sie auf alle und jeden eifersüchtig. In Frankreich bist du erst populär, wenn du tot bist.
Dann ist es ein gutes Zeichen, dass Sie in Frankreich nicht populär sind.
(Lacht) Ich liebe mein Land; aber in Frankreich meckern die Leute über alles, was du tust. Es sind Nörgler.
Die Deutschen sind die schlimmsten Nörgler.
Das sagen Sie, weil Sie Deutscher sind. Im Ernst: Die Franzosen sind nie zufrieden. Nie, nie! Als wir den Daviscup gewannen, war ich so stolz und glücklich – doch es wurde fast nicht gefeiert. Franzosen sind keine Patrioten wie die Amerikaner oder die Briten. Wir standen 2014 gegen die Schweiz im Daviscup-Finale in Lille, 27 000 Franzosen waren im Stadion – die Schweizer haben mehr Lärm gemacht. Glauben Sie mir: Ich liebe mein Land, aber die Menschen sind schwierig.
Sind Sie deshalb nicht oft in Ihrer Heimat?
Ich liebe es zu reisen und andere Menschen zu treffen. Ich spiele auf der Champions-Tour, ich habe eine Fernsehshow, sie heißt „Avantage Leconte“, ich bin Präsident eines Tennis-Clubs in Paris mit etwa 2400 Mitgliedern. Und schließlich habe ich Familie. Ich liebe dieses Leben.