Ein Gerichtszeichner hat Taylor Swift während ihrer Aussage gezeichnet. Foto: AP

Die amerikanische Sängerin Taylor Swift verklagt einen übergriffigen Radiomoderator vor Gericht – und bekommt Recht. Erik Raidt schreibt in seinem Kommentar, warum das Urteil vielen Frauen Mut machen wird.

Stuttgart - Wenn eine Frau nach einem sexuellen Übergriff einen Mann vor Gericht bringt und ihn außerdem öffentlich anprangert, wird es schnell ideologisch. Sofort beginnt ein Gefecht an mehreren Fronten: Konservative gegen Liberale, Feministinnen gegen männliche Meinungsführer, Feministinnen alter Prägung gegen Feministinnen, die mit nackten Brüsten für ihre Ziele kämpfen. Eine Auseinandersetzung um einen juristischen Sachverhalt verwandelt sich in einen Glaubenskrieg – zuletzt hat sich das in Deutschland bei der Diskussion über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Moderator Jörg Kachelmann oder bei der Debatte um das Dirndl-Gate des FDP-Politikers Rainer Brüderle gezeigt.

Ähnlich aufgeladen verläuft die Debatte nun in den USA rund um den Fall der Sängerin Taylor Swift. Sie hatte einen früheren Radio-DJ verklagt: Dieser soll ihr bei einem PR-Termin im Jahr 2013 unter den Rock gefasst haben. Swift machte den Fall seinerzeit öffentlich, der DJ verlor seinen Job und verklagte die Sängerin auf eine Millionenentschädigung. Swift konterte mit einer Gegenklage wegen Körperverletzung und sexueller Belästigung. Die acht Geschworenen haben der Sängerin nun vor einem Gericht in Denver Recht gegeben. Zahlreiche Künstler stellen sich demonstrativ an die Seite von Taylor Swift, sprechen von ähnlichen Fällen von Belästigungen – gleichzeitig wird die Sängerin in vielen Online-Medien und Foren angefeindet.

Knapp ein Fünftel der Frauen erleben Belästigungen

Wieder geht es um Glauben und nicht um Fakten. Westliche Gesellschaften verstehen sich gerne als fortschrittlich und aufgeklärt, Frauen und Männer seien längst gleichgestellt. Sexuell motivierte Übergriffe seien Einzelfälle, die juristisch verfolgt und vor Gericht gebracht würden. Diese Sichtweise ist bequem, erlaubt sie es doch, unangenehme Fakten auszublenden.

Denn wie sieht es wirklich aus mit dem Schutz der Intimsphäre – etwa in deutschen Büros, Fabriken, Stadtbahnen oder Freibädern? Die jüngste Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015 liefert dazu folgende Daten: rund ein Drittel aller Frauen wurden mit sexuellen Anzüglichkeiten konfrontiert. Knapp ein Fünftel der Frauen und immerhin zwölf Prozent der Männer erlebten „unerwünschte Annäherungen und Berührungen“. Und in den USA? Dort kämpft das Dienstleistungsunternehmen Uber mit Negativschlagzeilen, seit bekannt wurde, dass Klagen von Mitarbeiterinnen wegen sexueller Belästigung lange ignoriert wurden. Das zukunftstrunkene Silicon Valley erscheint nun auch als Revier männlicher Neandertaler am Arbeitsplatz.

Nein heißt schlicht nein

Bei der Bewertung der Verhältnisse in Deutschland hilft ein Blick zurück in den Sommer 2016: Vor einem Jahr beschloss der Bundestag die Reform des Sexualstrafrechts. Die Debatte lief damals unter dem Schlagwort „Nein heißt Nein“. Nun steht im reformierten – das heißt in diesem Fall verschärften – Gesetz, dass ein Täter automatisch juristisch belangt werden kann, wenn er sich über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt. So selbstverständlich sich das anhört, so unscharf war es zuvor tatsächlich im Gesetz festgeschrieben. Auch das Grapschen und andere Formen der sexuellen Belästigung stehen nun unter Strafe. Das Gesetz kam seinerzeit auf den Weg, weil der Gesetzgeber erkannt hatte, dass Opfer sexueller Übergriffe juristisch noch nicht ausreichend geschützt sind. Es wurde einstimmig beschlossen.

Nein heißt schlicht Nein: dieses Signal geht nun auch vom Prozess in Denver aus. Neben der juristischen Klarheit braucht es Frauen, die Grenzen aufzeigen, weil sie öffentlich machen, was andere Opfer stillschweigend erdulden mussten. In diesem Sinn hat Taylor Swift der Gesellschaft ohne jeden ideologischen Fundamentalismus einen Dienst erwiesen. Ihr Stoppsignal ist klar und unmissverständlich.