Die Nichte des Regisseurs in „Taxi Teheran“ - mehr Eindrücke in unserer Bildergalerie Foto: Verleih

Tiefe Einblicke in die iranische Gesellschaft: Erneut unterläuft Regisseur Jafar Panahi sein Berufsverbot. Mit seinem gut durchdachten und trotz ­allem humorvollen Film riskiert er seinen letzten Bewegungsspielraum.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Taxi Teheran"

Was bedeutet Filmemachen? Welche Rolle spielt die Haltung des Filmemachers? Darüber diskutiert in seinem jüngsten Film der iranische Regisseur Jafar Panahi mit seiner naseweisen kleinen Nichte Hanna Saeidi. Sie hat ihm vorgelesen, welche religiös-propagandistischen Einschränkungen ihr in der Schule diktiert worden sind: Kopftuch ist für Frauen Pflicht, Bösewichte sollen keine iranischen Namen tragen.

Hanna ist ein aufgewecktes Kind, sie ortet Widersprüche, hinterfragt Ungereimtheiten. Eine mündige Bürgerin schon mit zehn Jahren, aber eine mit eingeschränkten Rechten – sie lebt unter dem Mullah-Regime wie ihr Onkel, der mit Berufsverbot und Hausarrest belegt ist. Panahi hat den Film heimlich gedreht, aber nicht als reine Dokumentation, sondern erkennbar inszeniert.

Getarnt als Taxi-Fahrer bespricht Panahi mit Fahrgästen Verhältnisse und Unrecht im Gottesstaat und gewährt dabei tiefen Einblick in die iranische Gesellschaft. Ganz unaufgeregt plaudert er mit einem skurrilen Raubkopierer, der auch Panahis Filme im Programm hat, und zwei Damen mit Goldfischglas. Richtig zur Sache geht es im Gespräch mit einer engagierten Bürgerrechtsanwältin, der ebenfalls Berufsverbot droht: Sie reden über die abschreckende Wirkung drakonischer Strafen bei Bagatelldelikten, über die Wirkung von Stimmen nach Verhören mit Augenbinde, über ein Mädchen, das ein Volleyballspiel besuchen wollte und nun seit Monaten in Haft sitzt – Sportveranstaltungen sind im Iran Männern vorbehalten.

Panahi selbst durfte wieder nicht ausreisen

Panahi hat das Thema in seinem Spielfilm „Offside“ („Abseits“, 2006) im Zusammenhang mit Fußball behandelt und bekam dafür in Berlin einen Silbernen Bären. Für „Taxi“ nun hat ihm die Berlinale-Jury 2015 den Goldenen zuerkannt, den seine Nichte stellvertretend entgegennahm.

Panahi selbst durfte wieder nicht ausreisen – wie schon 2011, als er das Festival seinen Juroren-Stuhl demonstrativ unbesetzt ließ. Im Film trägt Hanna Kopftuch, im Berlinale-Palast tat sie es nicht. Strahlend reckte sie auf der Bühne die Trophäe in die Höhe und stammelte unter Tränen: „Ich bin nicht in der Lage, etwas zu sagen, ich bin zu ergriffen.“

Das Bild ging um die Welt, die Sittenwächter im Iran schäumten: Hier werde kein Film beurteilt, sondern ein politisches Statement. „Taxi Teheran“ aber ist beides: Panahi führt unter widrigen Bedingungen mit einfachsten technischen Mitteln vor, was Filmemachen bedeutet und welche Rolle die Haltung des Filmemachers spielt.

„Das solltest du besser herausschneiden“, sagt die Bürgerrechtsanwältin, bevor sie aussteigt. Beide könnten in Teufels Küche kommen, doch Panahi hat alle dringelassen in seinem gut durchdachten und trotz allem humorvollen Film. Er riskiert damit seinen letzten Rest Bewegungsspielraum. Und hat den Goldenen Bären verdient.

Info: Politik im iranischen Film

Offside (Jafar Panahi, 2006): Um ein Fußball-Länderspiel zu sehen, verkleiden sich einige Frauen und Mädchen als Männer, werden entdeckt und verhaftet.

Nader und Simin (Asghar Farhadi, 2011): Vordergründig ein Trennungsdrama, versteckt ein Spiegel gesellschaftlicher Verwerfungen.

Persepolis (Marjane Satrapi, 2007): Eine Jugend während und nach der islamischen Revolution als Zeichentrick.

The Green Wave (Ali Samadi Ahadi, 2011): Dokumentation der Bürgerproteste 2009, die das Regime blutig niederschlug.

Unsere Bewertung zu "Taxi Teheran": 4 von 5 Sternen - empfehlenswert! 

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