Starke Frauen am Seil: Die Tauzieherinnen aus Lenglingen. Foto: Spanhel

Beim Ziehen am Tau sind sie die Stärksten: Die Frauen des Tauziehclubs Kaiserberg starten an diesem Sonntag (13 Uhr) bei ihrem Heimturnier als klare Favoritinnen. Eine ungewöhnliche Sportart.

Lenglingen - „Seil auf, spannt an, und Pull!“ Die sieben Frauen am Tau stemmen ihre Beine in den erdigen Boden und ziehen. „Noch ein bisschen aushalten“, ruft Michael Weber. Ein paar Augenblicke lang ist nichts zu hören außer dem schweren Atem der Frauen und dem metallenen Knirschen der Anlage, an der das lange Seil befestigt ist. Dann ein kurzer Aufschrei, ein paar der Frauen rutschen auf den Boden. Die Tauzieherinnen lassen kurz vom Seil ab, dann geht es noch einmal von vorne los. Es ist Training bei den Frauen des Tauziehclubs Kaiserberg in Göppingen-Lenglingen. An diesem Sonntag steht das nächste Turnier in der Landesliga Württemberg-Bayern an – bis dahin muss alles klappen, am Seil.

Die Mannschaft des TZC Kaiserberg ist eine von nur fünf Frauenmannschaften im Tauziehen deutschlandweit. Und aktuell die stärkste: Im vergangenen Juni haben die Damen aus Lenglingen die erste deutsche Tauzieh-Meisterschaft der Frauen gewonnen.

Seit drei Jahren mit eigener Frauenliga

„Vor ein paar Jahren haben wir noch bei den Männern mittrainiert und mitgezogen“, sagt Theresa Schwegler. „Da haben wir uns fast jedes Mal über den Platz ziehen lassen.“ Wie viele ihrer Mannschaftskolleginnen zieht die 18-Jährige schon seit vier Jahren am Seil. Erst seit drei Jahren allerdings gibt es in Deutschland auch eine eigene Frauenliga. Dabei war Tauziehen früher einmal olympische Disziplin. Heute stehen in Deutschland nur ganz wenige Mannschaften am Seil. „Bei uns in der Region hat das aber schon auch Tradition. Die Sportart kommt aber eigentlich aus dem Südbadischen“, sagt TZC-Vorsitzender Heiko Schuster. Auch in der Schweiz habe das Tauziehen einen viel größeren Stellenwert. „Nachwuchs zu finden ist schwer“, sagt Schuster, „Tauziehen ist hierzulande einfach eine Randsportart.“

Wenn sie von ihrem Sport erzählen, ernten die Tauzieherinnen aus Lenglingen deshalb auch oft Unverständnis. „Und viele Vorurteile“, sagt Julia Niederberger. Dass die völlig unbegründet sind, zeigt sich, wenn man den Frauen am Fuße des Hohenstaufens beim Training zusieht: Verbissene Muskelprotze sind sie ebenso wenig wie stämmige Schwergewichte. 420 Kilogramm dürfen die Frauen bei offiziellen Turnieren zu sechst insgesamt maximal auf die Waage bringen. Und auch sonst kommt es nicht unbedingt nur auf Gewicht und Kraft an: „Wir arbeiten viel mit den Beinen“, sagt die 20-jährige Julia Niederberger. „Generell kommt es auf die Ausdauer an, auf Körperspannung, Reaktion und vor allem auf die Konzentration.“

Zweimal die Woche trainieren die jungen Frauen

Trotzdem erfordert das Tauziehen striktes Training – so ein Meistertitel kommt schließlich nicht von ungefähr. Zweimal die Woche trainieren die jungen Frauen an der Seilanlage vor der Reithalle in Lenglingen, auch samstags stehen sie oft zusammen auf dem Platz. Wenn sie nicht Tauziehen, gehen sie gemeinsam Joggen oder Reiten. Auch über das Seilziehen hinaus haben die neun Tauzieherinnen, alle zwischen 16 und 29 Jahre alt, einen „guten Zusammenhalt“, sagen sie: Sie feiern zusammen, begleiten ihre Herrenmannschaft auf Turniere oder fahren gemeinsam in den Urlaub. „Wir sind nur weiter so gut, wenn wir alle an einem Strang ziehen – im wortwörtlichen Sinne“, sagt Theresa Schwegler.

Denn wenn das Kommando kommt, muss es schnell gehen am Seil. Mit einem Ruck heben die Frauen das Tau vom Boden ab. Dann gilt es, die sechs Gegnerinnen bis zu vier Meter auf die eigene Seite zu ziehen – jedenfalls im Wettkampf. Wer das in zwei Zügen oder Durchgängen schafft, gewinnt. Knapp zweieinhalb Minuten müssen die Frauen das Gewicht stehen. Nur eine Armlänge Abstand liegt zwischen ihnen, Abstützen oder den Boden berühren ist verboten. Im Training übernimmt die Seilwinde mit schweren Gewichten den Gegenzug.

Im kommenden Jahr wollen die Lenglingerinnen erneut den Meistertitel holen. „Irgendwie hängen wir doch alle sehr an der Sportart“, sagt Theresa Schwelger, „warum auch immer.“ Vielleicht gerade weil es etwas besonderes sei.

Auf dem Trainingsgelände reiben sich die jungen Frauen noch einmal frisches Harz auf die Hände, wie es auch die Handballer machen, stemmen sich ein letztes Mal gegen das Seil. „Zack, Zack, Zack“ ruft Julia Niederberger. Die 1,60-große Tauzieherin gibt das Kommando vor: Sie ist nicht nur die Kleinste im Team, sondern zieht sogar in der deutschen Nationalmannschaft am Seil. Ganz langsam bewegen sich die Frauen nun ein paar Schritte nach hinten, Stück für Stück nähern sie sich der Vier-Meter-Marke an. Legen sie an diesem Sonntag den selben Zug an, können sie ihre Position als stärkste Frauen am Seil bestimmt verteidigen.