Zwei kleine Sterne und Foto: Amelie Otto

Wolfgangs Haut ist voll von Tattoos. Früher war das Stechen verboten, so hat er sich viele selber gestochen. Doch nicht einfach irgendwas, seine Haut erzählt von dem, was er erlebt hat, Wolfgangs ganz eigene Geschichte.

Zuffenhausen - Wenn Wolfgang über die Bilder auf seiner Haut spricht, erzählt er Geschichten seines Lebens. „Ich kann mich stundenlang in Erinnerungen verkriechen, wenn ich meine Tätowierungen angucke“, sagt er.

Tätowieren war damals verboten

Sein erstes Tattoo ist etwa 37 Jahre alt: Etwas verlaufen, aber dennoch deutlich zu erkennen, erinnert der kleine Che Guevara an die Zeit im Erziehungsheim. Wolfgang war zwölf, als er sich den Rebellen selbst stach. Tätowieren war verboten. „Derjenige, der dich tätowiert hat, hat eine Anzeige wegen Körperverletzung bekommen“, sagt er. „Deshalb haben wir uns früher aus Solidarität selber gestochen.“ Das allerdings sei Selbstverstümmelung gewesen und ebenfalls nicht erlaubt. Der 49-Jährige hat ein veritables Vorstrafenregister. Er saß öfters in der JVA Stammheim und anderen Gefängnissen ein. „Die Hand ist der Ursprung jedes Deliktes“, sagt er und zeigt auf die Tätowierung an seinem Handgelenk. Das hässliche Monster sei wie ein Stoppschild, wenn die Hand zum Schlag ausholen will. „Ich wollte mir selber ein Warnzeichen setzen.“ Der Adler auf seiner Brust steht für die Freiheit, die er sich im Strafvollzug gewünscht hat. Jetzt ist er frei.

Einen Tattoo-Laden hat er nie besucht

Seine Tätowierungen unterscheiden sich von den Rosen, Sternen und Kreuzen, die man heute vielfach auf der Straße sieht. „Ich habe keine einzige Tätowierung in einem Tattoo-Laden stechen lassen“, sagt er. „Wir Alten erkennen uns untereinander.“ Die Tätowierungen aus Erziehungsheim und Knast hätten sich übel entzündet und seien sehr schmerzhaft gewesen – „fast wie mit dem Hammer reingehauen“, beschreibt er das Gefühl, wenn die einfache Nadel unter die Haut geht. Wenn man ein Skelett mit Tätowierungen finde, weil durch alle sieben Hautschichten durchgestochen wurde, dann sei es das eines Ganoven – so laute ein altes Sprichwort. „So überzeugt ist ein Ganove von seinen Tätowierungen“, erklärt Wolfgang.

Jeder Stern steht für Leben

Seine Haut ist voller Sterne in unterschiedlichen Größen. Jeder Stern gehört einer bestimmten Person aus Wolfgangs Leben: „Sie stehen für einen Kameraden oder eine Freundin, die ich verloren habe“, sagt er. „Deshalb regt es mich manchmal auf, wenn die Leute auf der Straße mit Sternen tätowiert sind.“ Unter der Haut hinter seinem Ohr steht „Leben“, dahinter erkennt man zwei kleine Sterne. Dieses Tattoo ist ihm besonders wichtig. „Wenn man stirbt, lebt man als Stern weiter“, erklärt Wolfgang.

Den Stern auf seinem Oberarm hat er sich 1990 im Gefängnis stechen lassen. „Seitdem bin ich HIV-positiv“, sagt er. „Der Tätowierer ist zwei Jahre später auf dem Hohenasperg an AIDS gestorben.“ Er ist sich zu 100 Prozent sicher, dass die Infektion vom kleinen Stern neben dem Teufel auf seinem Oberarm stammt. „Als Tätowiertem mit HIV sind die Leute mir mit Abscheu, Hass, Wut und Angst begegnet“, erzählt er. Wolfgang vergisst nicht, dass es damals Stimmen gab, die Menschen mit HIV kennzeichnen lassen wollten. Es erinnert ihn an den Judenstern im dritten Reich. „Trotzdem bin ich nicht böse auf die Menschen“, sagt er. Bei dem Verein „Brücke“ engagiert er sich als Mentor, um Menschen mit HIV zu unterstützen. Der ausgebildete Metzger und Staplerfahrer kann wegen seiner psychischen und körperlichen Erkrankungen nicht mehr arbeiten.

Die Tattoos haben ihm früher keine Türen geöffnet

Er hat in Erziehungsheim und Knast viel Ausgrenzung und Isolation erlebt, auch später durch seine Krankheit. Er ist stolz, dass er sich dadurch nicht hat unterkriegen lassen. „Ich wollte mal Profiboxer werden, aber Tätowierte durften nicht an Turnieren teilnehmen“, sagt Wolfgang. „Heute sind sie alle mit Tattoos zugenagelt.“ Er erzählt auch von einem Freund, der mehrere Jahre lang wegen der Bilder auf seiner Haut keine Wohnung gefunden habe.

Wolfgang sitze öfters im Park und schaue sich die Leute an, wie sie alle „zugetackert mit Songtexten oder mit Mickymäusen herumlaufen“. Dabei fragt er sich: „Wissen die Leute eigentlich, welche Konsequenzen wir als Tätowierte früher zu tragen hatten?“

„Menschen die sich tätowieren lassen“, davon ist er überzeugt, „sollten sich darüber Gedanken machen, ob sie die Würde haben, sie zu tragen und ob sie nie den Gedanken haben werden, sich zu schämen oder ihre Tätowierungen zu verstecken.“