Unter Flüchtlingen: Lamin (Mehmet Atesci), Khalid (Alireza Bayram) Fanny (Zazie de Paris), Hauptkommissar Paul Brix (Wolfram Koch) und Najla (Mayram Zaree). Foto: HR

„Land in dieser Zeit“, der neue Frankfurter „Tatort“, zeichnet ein Wirrnis-Bild vom Zustand des Landes zwischen Willkommens-Kultur, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus – und benutzt dazu deutsches Liedgut ebenso wie die Lyrik von Ernst Jandl.

Stuttgart - Die Frankfurter Skyline zieht vorbei. Ein Chor stimmt „Kein schöner Land in dieser Zeit“ an. Eine verschleierte Frau steuert ein Auto durch die Straßen. Wie passt das zusammen? Die neue Frankfurter „Tatort“-Folge „Land in dieser Zeit“ zeichnet eine Momentaufnahme vom Wirrnis-Zustand des Landes zwischen Willkommens-Kultur, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus – und benutzt dazu deutsches Liedgut ebenso wie die Lyrik von Ernst Jandl.

Jandl, jawohl: Dessen lautmalerischen Verse lässt das Drehbuch von Khyana el Bitar, Dörte Franke und Stephan Brüggenthies nämlich Fosco Carridi (Bruno Cathomas), den neuen Chef der Frankfurter Mordkommission, immer wieder rezitieren. Freunden des klassischen Krimis muss klar sein: Die Spannung tendiert gegen Null; der Fall dient vor allem dazu, Gesellschafts-Analyse zu betreiben. Dabei lassen die Autoren und der Regisseur Markus Imboden die Ermittler Paul Brix (Wolfram Koch) und Anna Janneke (Margarite Broich) die meiste Zeit ganz normale Polizeiarbeit machen: Sie sichern Spuren, verhören Verdächtige, konstruieren Thesen, um diese mit ihren Ermittlungen zu untermauern. Aber immer wieder bröseln ihnen die Gewissheiten unter den Händen weg.

Der Täter hinterlässt das Graffiti „Kill all Nazis“

Durch einen Brandanschlag auf einen Friseursalon ist die Auszubildende Melanie zu Tode gekommen. „Kill all Nazis“ hat der Täter als Graffiti auf dem Gehweg hinterlassen. Brix und Janneke finden heraus, dass Melanie und ihre Kollegin Vera (Jasna Fritzi Bauer) zuvor Streit mit einem afrikanischen Dealer hatten. Als sich dessen Fingerabdrücke auf der Flasche mit dem Brandsatz finden, scheint die Sache klar.

Zu klar für Janneke, die eine scharfe zwischenmenschliche Beobachterin ist: Vera, die ihre Ausländerfeindlichkeit herauskotzt und sich in einem Club der rechten Szene abreagiert, und ihre dominante Mitbewohnerin Juliane (Anna Brüggemann) passen überhaupt nicht zusammen. Auch Margaux (Odine Johne), die im Kiosk ihres Großvaters aushilft und ebenfalls gegen die Drogendealer agitiert, ist Janneke nicht koscher. Ihr Instinkt trügt nicht: Juliane und Margaux singen nicht nur im Chor, sondern sind auch dem Verfassungsschutz als Rechtsextremistinnen bekannt.

Der Schlusskommentar ist ein Gedicht

Paul Brix muss sich unterdessen mit den Flüchtlingen arrangieren, die seine Vermieterin übergangsweise aufgenommen hat: Das heißt Schlange stehen vor dem Badezimmer; überall im Haus kleben Zettel mit deutschen Begriffen an den Gegenständen. Ein schöner Link zur Sprachverliebtheit des neuen Kommissariatsleiters: Wer hätte gedacht, dass mit Bruno Cathomas als Nachfolger von Roeland Wiesnekker in puncto Verschrobenheit noch eine Steigerung möglich ist!

Am Ende, als der Fall auf unbefriedigende Weise geklärt ist, gibt Carridi Jandls „Lichtung“ zum Besten: „manche meinen/lechts und rinks/ kann man nicht velwechsern/werch ein illtum“. Dieser Schlusskommentar ist wirklich ein Gedicht.