Ulrike Folkerts ist seit 25 Jahren „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal Foto: SWR

Als so schroffe wie verletzliche „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal ist Ulrike Folkerts bekannt geworden. „Blackout“, der Titel ihres neuen Falls am Sonntag, ist Programm.

Das Unbehagen

Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises vor wenigen Wochen sitzt sie in der zweiten, vielleicht auch in der dritten Reihe. Auf der Suche nach prominenten Gesichtern wird sie offiziell begrüßt, die Kamera schwenkt auf sie. Und Folkerts? Duckt sich fast weg, betont mit jeder Faser ihre Abneigung gegen etwas, das sie zugleich anstrebt und doch fürchtet, ja in der negativen Ausprägung sogar verachtet: Bedeutung.

Die Neue

Als die heute dienstälteste „Tatort“-Kommissarin am 29. Oktober 1989 bei der Polizei in Ludwigshafen anfängt, bringt die Neue die alten Hasen nicht etwa deshalb durcheinander, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie sich auf der Polizeischule für neue, fachübergreifende Ermittlungswege interessiert hat. So diagnostiziert sie bei einem maskierten Vergewaltiger mal eben eine „periphere, spinal und zerebral bedingte Neurose“. Noch aber hat die Neue ihre Rolle nicht. Das Profil ist unscharf, zielt einzig darauf, eine Frau in Hosen auf das Ermittlungstempo drücken zu lassen.

Tempo, Tempo

Lena Odenthal steht viel auf, beugt sich, auf beide Arme gestützt, noch häufiger über einen Tisch, trainiert ihre Laufqualitäten im Kapuzenpullover und scheint sich grundsätzlich ungern – und deshalb immer mit dem Impuls, sofort wieder aufstehen zu können – zu setzen. Diese Frau geht, wie man vielleicht heute sagen würde, ein hohes Tempo. Eine dramaturgische Begründung zuvorderst dafür, dass sie die Nähe eines anderen Menschen eher meidet. Nähe hieße zwangsweise, Tempo rauszunehmen, Rücksicht zu üben. Dann aber hätte sie weniger Zeit, sich zu engagieren.

Eine Weggefährtin derer, die am Rand stehen, und zugleich immerzu auf Distanz bedacht – das ist die Spannung, in der sich Folkerts Lena Odenthal bewegt, dies auch ist der Kurs, auf dem ihre bisher wichtigste Filmfigur zur gehetzten Frau geworden ist.

„Blackout“

Was macht Ulrike Folkerts am Sonntag? „,Tatort‘ schauen natürlich“, sagt sie. „Am liebsten mit Freunden.“ Am 26. Oktober sieht Folkerts Lena Odenthal in deren 60. Fall. „Blackout“ heißt er – und zeigt genau dies. Lena Odenthal, die gehetzte Frau, bricht zusammen. Dass die Kommissarin zu spät kommt, um einen Selbstmord zu verhindern, dient den langjährigen Odenthal-Autoren Eva und Volker A. Zahn in der Eingangsszene als Tropfen in das längst schon überlaufende Fass der inneren Zerrissenheit. Schon aber ruft ein neuer Fall – ein Architekt ist tot. Von einer Sektflasche penetriert, liegt er in einer Musterwohnung. Als Opfer eines Sexualdelikts? Als Opfer eines Racheakts? K.-o.-Tropfen sind im Spiel, eine orientierungslos über die Rheinbrücke wankende junge Frau war offenbar mit dem Toten zusammen.

Kopper (Andreas Hoppe), Lena Odenthals ewiger und wichtiger Gegenpart im Ludwigshafener Ermittlerduo, kann nicht helfen. Der ewig Sorgende aber fordert auf dem Weg in den eigenen Urlaub eine Vertretung an. Fallanalytikerin Johanna Stern kommt. Jung, blond, selbstbewusst. Lisa Bitter spielt die Ermittlerin. In Stuttgart ist sie aus dem Staatsschauspielensemble der Intendanz Hasko Weber und etwa der Rolle als Königin in Webers Inszenierung von „Don Carlos“ in guter Erinnerung.

Die Souveräne

Die Neue kommt mit iPad und neuem Wissen. Lena Odenthal wittert Gefahr – nicht ohne Grund. Regisseur Patrick Winczewski geht noch ein Stück näher an die Kommissarin heran. Und der Balanceakt gelingt. „Blackout“ lässt die sich auch selbst jagende Jägerin Odenthal einen Schritt zurücktreten.

Ganz ohne psychologisierende Wer-bin-ich-Dramatik erlebt man den Wandel. Sie wird noch einmal zu spät kommen. Und doch ist sie nun die Souveräne. Sie ermittelt weiter vor Ort, entwirrt die geschickt verknüpften Fäden des Architekten-Mordes. Ihr Zusammenbruch? War gestern. Heute hört sie wie Johanna Stern desillusioniert sagt, sie sei geschickt worden, um aus dem Weg zu sein. Ulrike Folkerts schaut in diesem Moment wie bei ihrer Begrüßung beim Deutschen Fernsehpreis. Verwundert und zugleich mit der Aussage „Wichtig bin nicht ich, wichtig ist, dass sich etwas ändert“. Sie weiß: „Blackout“ eröffnet die Wetten, wann Lisa Bitter sie vom Ermittlerstuhl kippt.