Thomas Wuwer schafft gern mit seinem Lötkolben. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Bei Thomas Wuwer hat’s gefunkt. Seiner große Liebe konnte er nicht entkommen, sie stand bereits vor der Tür, als er geboren wurde. In Bremen lebte er 300 Meter vom Nordmende-Werk entfernt. Kein Wunder, dass er der Elektronik verfiel und nun in seinem Laden Radios, Synthesizer, Verstärker repariert.

Stuttgart - Das soll eine Werkstatt sein? Wer die Tür aufmacht zu dem Zimmer im Erdgeschoss der Metzstraße 11 kommt sich vor, als stehe er in einem Schrein. Gewidmet den einstigen Giganten der Unterhaltungselektronik, jenen längst ausgestorbenen Dinosauriern, die in deutschen Wohnzimmern zum Inventar gehörten. Nordmende, Grundig, Telefunken, Braun, Saba, Dual und wie sie alle hießen, die Hersteller von Radios, Fernsehern, Plattenspielern und Stereoanlagen Made in Germany.

„Braune Ware“, so nannte man das, weil man die Geräte gerne mit furniertem dunkelbraunem Holz ummantelte. Doch Thomas Wuwer (63) präsentiert seine Schätze nicht im Gelsenkirchener Barock, er hat kein Museum der Wirtschaftswunderzeit im Sinn. Wenngleich die Emaille-Schilder an der Wand, die Onko-Kaffee-Vitrine, die Schirmlampen an der Decke, die Tütenlampen und die Blaupunkt-Uhr an der Wand sowie die Anmutung des Logos „Tastenkult“ zu diesem Schluss verführen könnte.

Als Achtjähriger baute er mit einem Kumpel ein Radio

Wuwer: „Als ich aufgemacht habe, haben etliche Besucher zu mir gesagt: Mensch, das ist ja ein richtiges Museum.“ Mit Bedacht hat er im Internet die Stücke erworben, auf dass sie zusammenpassen, das „Flair der 60er Jahre verbreiten“. In dieser Zeit ist er aufgewachsen. In Bremen. Zu Nordmende konnte er quasi rüberspucken und Radio Bremen war so nah, „dass ließ bei uns nachts in der Küche die Neonröhren flackern". Kein Wunder, dass er schon als Achtjähriger mit seinem Kumpel auf dem Dachboden ein Radio baute. Aus einem Telefoniekopfhörer, einer Spule, einer Diode und einem Kondensator bastelte er ein Gerät, das tatsächlich funktionierte. Als Antenne diente ein Kupferlackdraht. So konnten sie die Memoiren von Dickie Dick Dickens hören, „dem Weltchampion der internationalen Verbrecher-Elite“. Sie wollten weiter reisen in die Welt, surfen auf der Mittelwelle zu den Orten, die auf der Radiotruhe standen, Hilversum, Oslo, Rabat, Budapest, Mailand, Vatikan. Oder alle Grenzen überwinden, „und weit entfernte asiatische und amerikanische Radiostationen empfangen“.

Jugendtraum verwirklicht

Das schafften sie dann doch nicht mit ihren Radios Marke Eigenbau. „Doch von der Elektronik bin ich nie mehr weggekommen“, sagt Wuwer. Er studierte, wurde Ingenieur der Nachrichtentechnik, schaffte beim IBM in Böblingen. Und nun im Ruhestand verwirklicht er sich seinen „Jugendtraum“: Eine eigene Werkstatt für „antike Elektronik“. Ein Jahr hat er gesucht, bis er den Raum im Stuttgarter Osten gefunden hat. Früher war hier ein Schuhmacher, nun ist Wuwer mit seinem Tastenkult eingezogen.

Viel Lob habe er von den Nachbarn erhalten, sagt er, und so mancher Passant hat schon geklingelt und gefragt, ob er sich umschauen dürfe. Wuwer freut sich über jeden, der spickeln kommt, aber noch lieber als Besucher sind ihm Kunden. Denn hier wird nicht nur geschaut, hier wird geschafft. Wuwer repariert alte Geräte. Jeglicher Couleur und Herkunft. Momentan hat er ein Neon-Radio aus den 80er Jahren in der Mache und einen Marshall-Verstärker von 1985. „Ich habe die Bewohner im Haus schon gewarnt, dass es laut werden kann, wenn ich den teste“, sagt er und lacht.

Es wäre laut, aber es würde gut klingen. Denn Wuwer ist vom Fach. Als junger Kerl hat er Musik gemacht, in verschiedenen Bands und am Theater. Als er dann gen Schwaben zog und hier eine Familie gründete, blieb keine Zeit mehr dafür. Doch die Liebe zu den Tasteninstrumenten war nur verschüttet. Nun hat er sich einen Moog Synthesizer im Internet gekauft. Dessen Reparatur will er demnächst angehen.

Manchmal findet Wuwer Überraschendes

„Ich habe ja jetzt Zeit“, sagt er und grinst“, „außerdem muss ich mir meinen Lebensunterhalt nicht damit verdienen.“ Er will auch nicht zuviel verlangen. Er schaut sich das Gerät an, wägt ab, wie viel Zeit und welche Ersatzteile er braucht, und nennt dann einen Preis. 70 Euro etwa kostet es, das Neonradio wieder auf Vordermann zu bringen. Wenn was hängenbleibt, er „die Rente aufbessern kann“, das wär’ nicht schlecht, aber eigentlich geht es ihm ums Tüfteln, um die Freude, etwas wieder zum Laufen zu bringen. „Das macht heute ja keiner mehr“, sagt er, „wenn der Fernseher oder der DVD-Player kaputt geht, wirft man ihn weg und kauft einen neuen.“ Dabei seien gerade die alten Geräte Handwerkskunst, nicht von Maschinen sondern von Menschen zusammengeschraubt. Und manchmal findet man Überraschendes. Alten Radios legte man früher einen Zettel bei: „Es ist verboten, dieses Gerät zu exportieren!“ Diese Warnung war wenig erfolgreich, sie verhinderte das Abkupfern der Asiaten und den Niedergang von Nordmende, Saba,Braun und Co. nicht. Bei Thomas Wuwer leben sie fort. Doch der Ingenieur ist kein Nostalgiker. Musik hört er übers Internet – sein neuester Streich ist es, alten Radios einen Bluetooth-Anschluss zu verpassen. Damit man nicht nur via Ultrakurzwelle Radio hören, sondern Musik aus dem Netz fischen kann. So hat auch Nordmende wieder eine Zukunft.

Tastenkult in der Metzstraße 11 hat mittwochs bis freitags von 14 bis 18.30 Uhr geöffnet. Und samstags von 10 bis 13.30 Uhr.