Die Kontrahenten: Stefan Wolf (Südwestmetall, links) und Roman Zitzelsberger (IG Metall) Foto: dpa

Fünf Prozent mehr Lohn – diese Forderung ist niedriger als die im öffentlichen Dienst, aber höher als alles, was die Arbeitgeberseite für machbar hält. Worauf stützen sich beide Seiten?

Stuttgart - Brummende Fabriken, Rekorde bei Absatz, Umsatz und Gewinn – aus Sicht vieler Beschäftigter der Metall- und Elektroindustrie hat sich die wirtschaftliche Lage seit dem vergangenen Jahr keineswegs verschlechtert. Gewiss – die Lage in Syrien, die anhaltenden Spannungen um die Ukraine, die durch die aufgeblähte Geldpolitik künstlich angeheizte Konjunktur in Europa und das schwächelnde Wachstum in China sind hinlänglich bekannt, doch die spürbaren Auswirkungen halten sich in Grenzen. Für sie habe sich „die Lage seit dem vergangenen Jahr nicht verschlechtert“, sagt IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger.

Doch jeder dieser Unsicherheitsfaktoren hat das Zeug, die wirtschaftliche Lage auch und gerade im exportorientierten Südwesten stark zu beeinflussen. Eine Gewerkschaft, die bei ihren Tarifforderungen nicht nur in den Rückspiegel schaut, sondern versucht, auch absehbare Risiken einzubeziehen, muss somit an der Basis durchaus Überzeugungsarbeit leisten. „Die Frage ist, ob das Glas halbvoll ist oder halbleer“, sagt Zitzelsberger.

Zumindest hat er die Einschätzung vermittelt, dass es nicht so voll ist, wie es erscheint. „Hätten wir diese Faktoren nicht eingebracht, wäre die Forderung deutlich hoher ausgefallen“, sagt Zitzelsberger. In der Tat ist die Forderung trotz neuer Rekordgewinne bei den Großen der Autobranche mit fünf Prozent geringer ausgefallen als im Vorjahr – damals belief sie sich auf 5,5 Prozent. Und sie ist auch deutlich geringer als die sechs Prozent, mit denen die Gewerkschaft Verdi für die gut zwei Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen ins Rennen geht. Es gibt also gute Gründe, die Forderung – gemessen an den Erwartungen - als gemäßigt zu betrachten.

Südwestmetall spricht von einer Fantasieforderung

Es gibt aber auch die andere Sichtweise, wonach die Forderung nicht auf der Realität, sondern auf Wunschträumen aufbaut. Stefan Wolf, Chef des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, spricht von einer „völlig überzogenen Fantasieforderung“, die für die notwendige Korrektur der Tarifpolitik „völlig ungeeignet“ sei.

Auch Südwestmetall liefert Gründe, warum sie die Forderung für falsch hält. So berechne die IG Metall den sogenannten verteilungsneutralen Spielraum, bis zu dem eine Forderung die Arbeitgeber praktisch nicht belastet, falsch. Dieser besteht aus der Inflation und aus der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung, die dazu führt, dass die Firmen pro Mitarbeiter mehr produzieren können. Weil die Produktivität langsamer steigt, sei die IG Metall dazu übergegangen, die höhere „Trendproduktivität“ als Maßstab einzuführen. Und bei der Inflation verwende sie nicht den tatsächlichen niedrigen Wert, sondern die mit knapp zwei Prozent weitaus höhere Zielinflation der Europäischen Zentralbank (EZB).

Aus einer Produktivitätssteigerung von 1,1 Prozent, einer Zielinflation von zwei Prozent und einer angestrebten Umverteilungskomponente von 1,9 Prozent errechnet sich die Forderung von 5 Prozent. Für die Arbeitgeberseite besteht diese Forderung zum größten Teil aus „heißer Luft“, denn die tatsächliche Inflation und die tatsächliche gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung lägen zusammen bei lediglich einem Prozent. Somit bestehe die Forderung zu 80 Prozent aus Umverteilung – was wiederum die Gewerkschaft so nicht stehenlassen will.

Strittig: Wie hoch soll man die Inflation ansetzen?

Die Trendproduktivität drücke die längerfristige Entwicklung aus und sei somit nicht so schwankend wie die jährliche Entwicklung; zudem verwende man nicht etwa die hohen Werte aus der Metallbranche, sondern die nicht einmal halb so hohen Werte der Gesamtwirtschaft. Und was die Inflation betrifft, so unterstütze man durch die Forderung die Zielsetzung der Europäischen Zentralbank, durch steigende Preise eine gefährliche Deflation zu verhindern. Gerade in großen Branchen wie der Metallindustrie habe die Tarifpolitik auch eine „makroökonomische Funktion“, also eine Aufgabe für die Gesamtwirtschaft.

Wie groß aber ist die Gefahr durch hohe Lohnabschlüsse für die Arbeitsplätze? Südwestmetall berichtet von 90 dokumentierten Fällen, in denen 10 000 Arbeitsplätze verlagert oder abgebaut worden seien. „Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz und würden uns dabei Unterstützung von der IG Metall wünschen“, sagt Wolf. Zitzelsberger bestätigt diese Entwicklung zwar, bestreitet aber, dass sie vor allem auf die Tarifpolitik zurückzuführen sei. Die Hersteller schauten, „wo sie was weltweit am günstigsten bekommen“; und wenn sie dort investierten, erwarteten sie, dass Zulieferer ihnen folgten. Selbst wenn die Gewerkschaft überhaupt keine Lohnerhöhung mehr fordern würde, dürfe man „nicht erwarten, dass dann nichts passieren würde“. Gegenwärtig wolle ein Maschinenbauer aus dem Arbeitgeberverband austreten, weil die Löhne nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Dieser habe aber im vergangenen Jahr umgerechnet 550 000 Euro Dividende bezahlt, davon 450 000 Euro Sonderdividende, die zum allergrößten Teil an den Großaktionär geflossen seien.