Zirkusreife tänzerische Virtuosität: ­Szene aus „M¡longa“ Foto: Theaterhaus

Sidi Larbi Cherkaouis „M¡longa“ ist eine 90-minütige Collage aus Duetten, Gruppenauftritten, Auftragskomposition und Videos mit Fernweh weckenden Impressionen aus Buenos Aires. Im Rahmen des Tanzfestivals Colours wurde sie im Theaterhaus gezeigt.

Ob Sidi Larbi Cherkaouis „M¡longa“, produziert für das Londoner Salder’s Wells Theatre und nun zwei Abende bei Colours in Stuttgart zu Gast, überzeugt oder nicht, ist eine Frage der Lesart: Die Tango-Show beeindruckt durch die verblüffende Artistik der Tango-Paare und eine wandelbare Szenerie, sie ist eine 90-minütige Collage aus mal verhalten, mal rasant getanzten Duetten, inszenierten Gruppenauftritten, live auf der Bühne gespielten Auftragskomposition und Videos mit Fernweh weckenden Impressionen aus Buenos Aires.

Allein die Rückwand der Bühne, wie der Balg eines Bandoneons sich öffnend und schließend, ist ein brillanter Einfall. Wer jedoch gehofft hatte, durch die Einbindung eines zeitgenössischen Tanzpaars einen choreografisch reizvollen Dialog zweier Körpersprachen zu erleben, wurde dann doch enttäuscht.

Es dauert knapp eine Stunde, bis sich Jennifer White und Jason Kittelberger von der Gruppe der Tangueros absetzten, außer durch lässigere Kleidung auch in ihren Bewegungen. Nur: So richtig eigenständig wollte ihr Part nicht werden. Zum einen, weil White die hochhackigen Tanzschuhe trotz kalkulierten Umknickens anbehielt und so auf fremdem Terrain blieb; zudem setzte die Darbietung der fünf Tango-Paare die Messlatte für das moderne Gespann: zirkusreife Virtuosität mit akrobatischen Überwürfen, verwirbelten Drehungen, nähnadelschnellen Beinkicks, imposanten Wiegefiguren und anderen Profiverzierungen. Als habe der zeitgenössische Tanz nichts zu bieten als Überkopfhebungen und raumgreifende Oberkörperschwünge in Hülle und Fülle.

In Sachen Figurenreichtum entschieden die Tangotänzer den Wettstreit für sich, in puncto Innerlichkeit geht der Punktsieg an White und Kittelberger: Sie brauchen keine körperliche Nähe, um einander nah zu sein – in einer Tango-Show erstaunlich genug. Unter den Argentiniern zeigte einzig Bruno Gibertoni, dass er nicht nur mit seiner Partnerin, sondern auch mit dem Boden tanzt. Doch auch ihm war vor lauter Körperornamentik kaum ein Grundschritt vergönnt. Dabei hatte „M¡longa“ mit einer Videoeinspielung begonnen aus einem Tangosalon, die zeigte, wie berührend schön die Caminada ist – die Folge schlichter Schritte in inniger Umarmung.