Claudia de Serpa Soares (li.) und Margaux Marielle-Tréhoüart spielen Teilnehmerinnen eines Frauenmahls. Foto: Ute & Luna Zscharnt

Das 29. Festival „Tanz im August“ in Berlin endet mit einer Uraufführung von Sasha Waltz. In „Women“ zitiert die Choreografin die feministische Kunst von Judy Chicago aus den siebziger Jahren.

Berlin - Keine „Dinner Party“ wie jede andere. Neununddreißig Gedecke hatte die US-Künstlerin Judy Chicago 1974 für ihr heute im Brooklyn Musuem in New York zu sehenden Kunstwerk aufgelegt in Erwartung jener Göttinnen, Heiligen und realen Frauengestalten aus Geschichte und Gegenwart, die der 1939 als Judith Sylvia Cohen in Chicago Geborenen repräsentativ schienen für eine Geschichte der Menschheit der feministischen Art.

Auch Sasha Waltz lässt zum Abschluss des Festivals „Tanz im August“ in der Berliner Kirche St. Elisabeth wie bei Judy Chicagos legendären Kunstwerk ihre Tische in einem symbolkräftigen Dreieck stellen. Aber anders als vor mehr als vierzig Jahren, als man die Dreicksform als Vulva-Symbol und Provokation wahrnahm, lassen die „Guests“ diesmal nicht auf sich warten, und eine Frau um die andere nimmt an der Tafel Platz, die mehr und mehr zum Zentrum einer Vorstellung wird, die Sasha Waltz ihren „Women“ widmet.

Vogelperspektive wäre schön

Noch nie, sagt die Choreografin aus dem Badischen, habe sie ausschließlich mit Tänzerinnen gearbeitet, auch wenn sich in ihren Stücken immer wieder Frauenszenen finden. Doch so geballt war Weiblichkeit bei ihr noch nie, und das „choreografische Ritual“, das sie eine Stunde lang in dem leergeräumten Schinkel-Bau verortet, weckt denn die Hoffnung auf einen künstlerischen Neubeginn, den die künftige Direktorin des Berliner Staatsballetts sicher gut gebrauchen kann.

Tatsächlich wirkt die Uraufführung zunächst eher wie ein Nachbild ihrer „Sacre“-Interpretation, die nach vier Jahren allmählich zu verblassen droht. Einige Gruppenszenen lassen dabei eher an eurythmische Figurationen denken. Andere wiederum sind so virtuos und vielgestaltig ausgeformt, dass sich ihr Reiz dem Betrachter in Gänze wohl nur aus der Vogelperspektive erschließt.

Sobald Sasha Waltz das Bacchanal aber mit Bedeutung auflädt, wirkt ihre „Women“-Weihung eher befremdlich, wenn nicht gar banal. Da werden Weiber nicht nur zu Hyänen, da verbeißen sich die trunkenen Tänzerinnen bei der „Dinner Party“ auch noch so in die blutigen Innereien eines nicht mehr identifizierbaren Opfers, als wollten sie sich dabei selbst zerfleischen. Doch da nicht sein kann, was nicht sein darf, endet der Frauenabend nicht mit einem schrillen Misston. Im sanften Singsang fanden alle Beteiligten zusammen.

Lachtränen in den Augen

Schließlich will sich das 29. Internationale Festival Berlin die Bilanz nicht vermiesen lassen. Mag auch „Women“ zuletzt den einen Kritiker oder die andere Kritikerin auf den Plan rufen: insgesamt betrachtet, gab’s beim Tanz im August eher Positives zu vermelden. Eine Platzauslastung von 94 Prozent und das bei einem Programm, das drei Wochen lang nicht nur Erfolgsgaranten wie Michael Clark zu bieten hatte, sondern vor allem einen Schwerpunkt mit Arbeiten von La Ribot. Die spanisch-schweizerische Tänzerin, Performerin, Filmemacherin und Selbstdarstellerin hat sich auf deutschen Festivals bisher eher rar gemacht – und gerade deshalb deckt Kuratorin Virve Sutinen den Nachholbedarf in Sachen Konzepttanz vor allem durch eine umfangreiche Retrospektive samt Ausstellung.

Auch ein „burleskes Duo“ wie „Gustavia“ steht noch einmal zur Diskussion, das vor allem eins beweist: dass Feminismus auch frivol, frech, sogar fröhlich sein kann. La Ribot und ihre französische Kollegin Mathilde Monnier steigern sich darin, obwohl schon über Fünfzig, so in ihre Weiblichkeit hinein, dass es einem immer wieder die Lachtränen in die Augen treibt. Selbst vor einem Striptease scheuen die beiden nicht zurück. Dass sie dabei nur ihr Knie entblößen, lässt den intendierten Sexismus der Szene ins Leere laufen.

Es sind ganz eindeutig die Frauen, die im August den Tanz dominieren. La Ribot, Sasha Waltz, Mathilde Monnier, dazu noch eine Flamenco-Tänzerin wie Rocío Molina, die sich in „Caída del Cielo“ über den Machismo ihrer Kollegen mokiert, oder die einstige Wuppertaler Tanz-Ikone Cristiana Morganti, die sich ihrer lächelnd ihrer Lehrmeisterin Pina Bausch erinnert: All das sind durchweg Bühnenpersönlichkeiten, die einen gelegentlich das Mann-Sein vergessen lassen. Und das ist gut so.