Unsere Taktikanalyse zum Spiel des VfB Stuttgart gegen Union Berlin. Foto: STZN

Unser Taktikblogger Jonas Bischofberger analysiert die Partie des VfB Stuttgart gegen Union Berlin und präsentiert die taktischen Stärken und Schwächen der beiden Teams.

Berlin - Gutes Pressing und die neu eingeführte Dreierkette verhelfen dem VfB zu 60 Minuten Dominanz, bis Union mit hervorragenden Umstellungen zurückkommt. Hannes Wolf und Jens Keller liefern sich ein aufregendes taktisches Duell.

• Dreierkette schlägt Unions Zentrumsfokus

• Stuttgart mit guten Kontern, aber zu starkem Flügelfokus

• Keller holt sich mit guten Wechseln das Remis

Als Anpassung an die pressingstarken und eher auf das Zentrum als auf die Flügel konzentrierten Berliner setzte Wolf auf eine Dreierkette, die gegen den Ball manchmal zu einer Fünferkette wurde. Die Idee dabei war genau die richtige: Unions Offensivreihe agiert üblicherweise sehr eng und versucht dem Raum zwischen gegnerischem Mittelfeld und Abwehr zu überladen. Ein zusätzlicher Innenverteidiger sorgt dafür, dass die Abwehrspieler immer wieder auf diese Spieler herausrücken können, ohne allzu große Lücken zu hinterlassen. Passend dazu begann Union das Spiel sogar in einer Raute, so dass Skrzybski, Redondo und Quaner sich schon von Natur aus im Zugriffsradius der Innenverteidiger aufhielten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Stuttgarter Defensivspiels war, dass die Dreierkette mit einem hohen Mittelfeldpressing verknüpft wurde. Dabei waren es vor allem die beiden Halbstürmer Özcan und Mané, die unmittelbaren Druck auf die Innenverteidiger ausübten. Özcan stand von den beiden ein bisschen höher und versuchte Leistner von außen her im Bogen anzulaufen, so dass dieser Trimmel nicht anspielen konnte und ins Zentrum eröffnen musste. Dort fehlten aber auch die Anspielstationen: Terodde manndeckte Daube oder Kroos und die restlichen Spieler der Raute teilten sich Gentner und Zimmermann auf. Durch das leitende Pressing von Özcan war vorherzusehen, zu welchem Spieler der Pass geht. Auf diese Weise neutralisierte der VfB Berlins theoretische Überzahl im Zentrum.

Beide Teams mit Offensivproblemen

Gegen dieses gut durchdachte Pressing des VfB fehlten Union die Mittel, obwohl sie immer wieder Ansätze zeigten, wie man es doch knacken könnte. Zum einen hatten sie zu wenig Bewegung und vor allem zurückfallende Läufe aus dem Mittelfeld drin. Damit hätte man Gentner und Zimmermann herausziehen und anschließend lange Bälle in den Freiraum zwischen Abwehr und Mittelfeld schlagen können. Quaner hätte dann als Zielspieler seine überlegene Physis im Vergleich zu den eher unrobusten Innenverteidigern des VfB ausspielen können. Normalerweise ist Stephan Fürstner derjenige, der bei Union diese Beweglichkeit ins Aufbauspiel bringt; Jens Kellers Entscheidung, erst einmal auf ihn zu verzichten, war im Nachhinein betrachtet nicht die glücklichste.

Der VfB hingegen war offensiv ein wenig präsenter und ging verdient in Führung, ließ aber die ganz große Gefahr vermissen. Was gut funktionierte, waren die Konter. Da man Union ins Zentrum leitete, konnte der VfB nach Ballgewinn seine Angriffe in alle Richtungen entwickeln. Durch die eingerückte Position von Mané und Özcan hatten alle Offensivspieler sofort Bindung zueinander. Trotzdem endeten viele Angriffe der Stuttgarter zu früh auf dem von Union im ersten Moment absichtlich freigelassenen Flügel. Insua und Klein wurden hier häufig mitgenommen, und konnten dann nur noch Flanken schlagen. Teilweise fehlte wegen Teroddes tiefer Rolle auch schlicht die offensive Präsenz und die Läufe in den Sechzehner – letzteres gehört nicht gerade zu den Kernkompetenzen von Özcan und Mané.

4-1-4-1, Hedlund und Fürstner drehen das Spiel

Im Laufe des Spiels nahm Union-Trainer Keller drei simple, aber außergewöhnlich wirkungsvolle Umstellungen vor. Zur zweiten Halbzeit wechselte er auf ein 4-1-4-1 mit Skrzybski und Redondo auf den Flügeln. Da Stuttgarts Flügelverteidiger wie zuvor Unions Außenverteidiger attackierten, waren Unions neue Flügelstürmer im Raum dahinter immer wieder frei. Ihre Wirkung entfaltete diese Umstellung aber erst, nachdem zwei weitere Dinge passierten: Zum einen kam mit Simon Hedlund ein neuer Linksaußen, der sehr kluge und intensive Läufe in die Tiefe zeigte und damit eine Menge Chaos in Stuttgarts Abwehr verursachte. Zum anderen verlor das Pressing des VfB, vor allem gegen Ende des Spiels deutlich an Intensität. Die Spieler zogen sich weiter zurück und rückten weniger konsequent heraus. Dadurch gingen mehr und mehr 50/50-Situationen an Union.

Gerade als der VfB sich an die neuen Herausforderungen anzupassen schien, legte Keller noch einmal nach und brachte den lange vermissten Fürstner für Kroos. Dieser ließ sich weit zurückfallen, sodass Union nun fast immer mit einer Dreierkette aufbaute. Das verschaffte den Innenverteidigern mehr Möglichkeiten, mit Ball am Fuß aufzurücken und den Stuttgarter Pressingläufen zu entwischen. So gelang es Union, auch in der Schlussphase den Druck hoch zuhalten. Im Vergleich dazu waren die Wechsel beim VfB deutlich weniger effektiv. Maxim kam kurz vor Unions Drangphase rein, hatte aber niemanden zum Kombinieren, weil Insua und Gentner nicht mehr konsequent mit aufrückten. Dadurch fehlte wiederum jemand, der den später eingewechselten Asano mit Steilpässen versorgen konnte.

Fazit

Dass ein Spiel so stark von den Ausrichtungen und Umstellungen der beiden Trainer geprägt wird, ist durchaus bemerkenswert. Keller begann mit einer suboptimalen Raute, nahm aber in der zweiten Halbzeit die richtigen Wechsel zum richtigen Zeitpunkt vor. Wolf demonstrierte mit der Dreierkette wiederum seine taktische Anpassungsfähigkeit, konnte aber gegen den späteren Umschwung nichts mehr unternehmen. Womöglich braucht seine Mannschaft im Detail noch ein wenig mehr Flexibilität, um von sich aus schneller und sicherer auf neue Spielsituationen reagieren zu können.