Der amerikanische Autor Tad Williams bringt sein Publikum in Fahrt. Foto: Ronny Schönebaum

Beim Fantastikfestival Dragon Days hat Tad Williams in der Stadtbibliothek Einblick in seine Fantasywelt von Osten Ard gegeben. Vor allem aber hat der Schirftsteller aus Kalifornien als Entertainer geglänzt.

Stuttgart - Sollte die Verlagswelt demnächst ganz zusammenbrechen, wie es einige Kulturpessimisten fürchten, sollten Bücher über Nacht zum unverkäuflichen Restmüll einer abgetanen Epoche werden, müsste der amerikanische Autor Tad Williamstrotzdem keine Umschulung zum Splitterbildschirm-Austauscher in einem Smartphone-Umsorgungslädchen absolvieren. Auch in einer vielleicht noch kommenden Bücher-sind-wie-Lebertran-Epoche könnte der Sechzigjährige bei seinem Beruf bleiben. Denn Williams ist ein nicht aufs Papier angewiesener Geschichtenerzähler, wie er bei seinem Auftritt in der Stadtbibliothek im Rahmen des Fantastikfestivals Dragon Days bewiesen hat.

„Ich strenge mich sehr an, der Schriftsteller zu werden, der ich sein möchte“, erklärt er mit einem Nachdruck, der sowohl ernst genommen werden will als auch Spott über das Psychoratgeber-Klischee enthält, jeder könne werden, was er nur innig genug sein möchte. Was Williams auch geworden ist: ein Vortragskünstler, Selbstdarstellungs-Kabarettist und Perpetuum-mobile-Alleinunterhalter, der dem Moderator Björn Springorum höchstens so viel Mühe macht wie das Zündhütchen dem Vorschlaghammer.

Von der Bühne gekippt

Der geringste Anstupser durch eine Frage genügt, und Williams explodiert in launigen Anekdoten, gummibärenbunten Sarkasmen, selbstironischen Abschweifungen sowie bei allem Humor stets klug reflektierten Erkundungen des Schreibens, des Schöpfungsprozesses, der Beziehung von Autor und Leserschaft. Die sieht bei Williams schon mal so aus, dass er bei einer Live-Theater-Adaption von Tolkiens „Hobbit“ ins Innere eines hölzernen Modells des Drachens Smaug steigt, bereit, das Bühnenvieh und die darin versteckte Rauchmaschine zu bedienen, dass er sich über eine laute Görengruppe in der ersten Reihe ärgert, den Holz-Smaug ganz nahe an den Bühnenrand bugsiert, die lärmenden Rangen strafend einzunebeln versucht, aber dann mit dem Ungetüm von der Bühne kippt. Das erzählt er natürlich für die Rubrik „Mein absoluter Lieblingsdrache“.

Aber auch wenn Williams so gar nicht gängigen Klischees vom weltscheu vergrübelten, psychisch multipel schwerverletzten, sozialkontaktgestörten Autorenschrat entspricht: Er ist ein sprachstarker Erfindungsdynamo, der Genres verändert hat. Seine früh das Konzept der virtuellen Realitäten erkundende „Otherland“-Serie, seine mehrbändigen Reihen über die Fantasy-Welten von Osten Ard und Shadowmarch folgen immer nur ein kurzes Stück den Leseerwartungen. Gleich zu Beginn von „Der Drachenbeinthron“(1988) werden wir Leser ermahnt, wer stets zu Beginn eines Unterfangen dessen Ende kenne, sei ein unglücklicher Mensch, denn er habe dem Staunen einen Dolch ins Herz getrieben.

Das Risiko der Offenheit

Dass er da seine Schreibmethode offenbarte, wird an diesem vom Literaturportal Lovelybooks live gestreamten Dragon-Days-Abend klar, als Williams seinen Widerwillen gegen Exposés bekennt, die Verlage auch von ihm verlangen. Er solle da vor dem Schreiben des Buchs schon ein Ende und die Schritte dorthin festlegen, „durch viel zu frühe Planung statt durch Beobachtung des sich Entwickelnden“. Aber er kennt auch die Risiken seiner Methode. „Wenn man an einem mehrbändigen Werk schreibt, dessen erste Teile schon veröffentlicht sind, und merkt, dass man anfangs etwas falsch gemacht hat, kann man nicht zurück. Dann ist man, jugendfrei gesagt, richtig verratzt.“

Auch eine Rückkehr zur ursprünglich 1993 abgeschlossenen, von den Fans geliebten Osten-Ard-Reihe hatte Williams nicht geplant. „Wenn ich bei so etwas Jahrzehnte die Erwartungen nicht erfülle, dann habe ich die Leseerinnerungen von tausenden von Menschen ruiniert“, beschreibt er seine Bedenken. Aber dann hat eine Provokation seiner Ehefrau doch etwas losgetreten im vermeintlich sicher weggeschlossenen Osten Ard in Williams’ Kopf, und mittlerweile liegen mit „Das Herz der verlorenen Dinge“ und „Die Hexenholzkrone“ zwei neue Romane aus dieser Welt bei Klett-Cotta in Übersetzung vor.

Nicht nur, weil sein deutscher Verlag hier sitzt, hat Tad Williams eine besondere Beziehung zu Stuttgart. „Das ist hier mein Zuhause jenseits meines Zuhauses geworden“, sagt der regelmäßige Gast der Dragon Days, dem dieses feine kleinen Festival der crossmedialen Fantastik sehr am Herzen liegt. „Wir Bücherfreunde sind vielleicht nicht die größte Gruppe der Welt“, verkündet er den 150 Besuchern, „aber bei Gott, wir sind die beste.“ Und auch der spontane Jubel, dieses Wir-Gefühl, die der umgängliche Williams ungekünstelt auslösen kann, ist ein wenig anders als die übliche erhabene Dichterlesungsbeklemmung.