Nicht etwa psychische Probleme sind die Hauptgründe, warum manche Kinder nachts in die Hose machen: Häufig steckt eine chronische Erkrankung dahinter Foto: Fotolia

In Deutschland nässen mehr als 640 000 Schulkinder nachts regelmäßig ein. Obwohl das Problem die Familien sehr belastet, suchen nur wenige Eltern Hilfe. Dabei ist die sogenannte Enuresis im Kindesalter gut behandelbar.

Köln - Tagsüber ist die Familienwelt in Ordnung: Schule, Fußballtraining und abends noch am Computer spielen. Doch nachts, da ist alles anders: Da wird der Sechsjährige zum Bettnässer. Zwei- bis dreimal macht der Erstklässler im Schlaf in die Hose. Ihm ist das peinlich. Den Eltern auch. Also wird die Bettwäsche gewaschen – und geschwiegen. „Bettnässen bei Kindern im Schulkindalter ist ein Tabu“, bestätigt Gabriele Grünebaum von der nordrhein-westfälischen Initiative Trockene Nacht, die sich der Aufklärung über dieses Problems verschrieben hat. „Viele Eltern verschweigen das Thema auch beim Arzt und nehmen aus Scham keine Hilfe in Anspruch.“

Derzeit gehen Schätzungen von 640 000 schulpflichtigen Kindern aus, die regelmäßig nachts ins Bett nässen. Es könnten aber durchaus mehr sein, wie nun eine aktuelle Studie belegt: Zusammen mit Gesundheitsämtern in Nordrhein-Westfalen und dem Bundesverband der Kinder- und Jugendmediziner (BvKJ) hat der Verein bei den Schuleingangsuntersuchungen Eltern zum Thema Bettnässen befragt und die aktuellen Ergebnisse am Dienstag vorgestellt: Insgesamt nässen 17 Prozent der mehr als 13 400 teilnehmenden Kinder regelmäßig das Bett ein. Mehr als ein Drittel, nämlich 34 Prozent, tut dies häufiger als fünfmal im Monat – die meisten davon sogar fast jede Nacht. Und noch etwas zeigte die Studie: „Allein schon die Fragestellung hatte Einfluss darauf, ob die Eltern zugaben, dass auch ihr Kind nachts noch ins Bett macht“, sagt Udo Rolle, Kinderchirurg an der Uniklinik Frankfurt und wissenschaftlicher Leiter der Studie.

Auf die Frage nämlich, wie oft das Kind noch einnässt, gab etwa jedes fünfte Elternpaar der teilnehmenden Kinder an, dass ihr Kind nachts noch ins Bett macht. Dagegen hielten sich die Eltern bei der Fragestellung „Nässt Ihr Kind noch ein?“ eher zurück. „Diese Frage wurde nur von etwa jedem zehnten Elternpaar bejaht“, sagt Rolle. Für den Experten ein deutliches Signal, wie sensibel Mediziner mit dem Thema Bettnässen umgehen müssen, um Eltern zu mehr Offenheit zu bewegen.

Denn Aufklärung ist wichtig: Nicht etwa psychische Probleme sind die Hauptgründe, warum manche Kinder nachts in die Hose machen. „Häufig ist es eine chronische Erkrankung“, sagt der Kinderarzt Andreas Petri vom BvKJ. Die sogenannte Enuresis, also das Einnässen im Schlaf nach Vollendung des fünften Lebensjahres, gilt sogar als die häufigste chronische Erkrankung beim Kind. Diese kann ganz verschiedene Ursachen haben – wie etwa eine Diabetes oder eine Fehlbildung der Harnwege.

Meist aber wird bei den betroffenen Kindern eine genetisch bedingte Reifungsstörung festgestellt. So gibt es Kinder, die einen Mangel eines Anti-Wasserlass-Hormons haben. Das sogenannte Aduretin sorgt normalerweise dafür, dass nachts weniger Urin produziert wird – nämlich halb so viel wie am Tag. Fehlt das Aduretin, kann der tageszeitliche Rhythmus des Wasserlassens aus dem Takt geraten.

Es gibt aber auch Kinder, deren Blase zu klein ist. Und es gibt Kinder, die in ihrem Schlafverhalten beeinträchtigt sind. Diese haben etwa Probleme aufzuwachen und das Signal der vollen Blase wahrzunehmen.

Ist das Kind körperlich gesund, wird Eltern häufig geraten, das Trinkverhalten des Kindes zu kontrollieren, sagt Gabriele Grünebaum von der Initiative Trockene Nacht. „Häufig trinken Kinder tagsüber fast gar nichts und schütten sich dafür abends sehr viel ein.“ Nach einem solchen Übermaß an Flüssigkeitszufuhr ist es kein Wunder, dass nachts die Kinder es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette schaffen.

Zwar werden rund 15 Prozent der Kinder pro Jahr spontan trocken. Doch darauf verlassen sollte man sich nicht: „Es braucht professionelle Hilfe“, sagt Gabriele Grünebaum. Um die richtige Therapie für das Kind zu finden, raten Ärzte erst einmal zu einem Blasentagebuch. Darin wird einen Monat lang genau notiert, wann das Kind wie viel trinkt, wann es zur Toilette geht, welche Nächte trocken und welche nass waren. Und auch wie stark der Harndrang sich am Tag bemerkbar macht.

Neben Medikamenten, gilt vor allem die Therapie mit einer Klingelhose als Behandlung der Wahl: Schon beim kleinsten Tropfen Urin, der nachts austritt, wird ein Sensor in der Hose aktiv und setzt einen Weckapparat in Gang. Es klingelt, die Kinder werden wach und gehen zur Toilette. Eine zweite Klingel weckt auch die Eltern, die dann eingreifen, falls ihr Kind doch nicht wach wird. „Diese Therapie ist zwar in den allermeisten Fällen erfolgreich, verlangt aber von den Eltern und von den Kindern auch einiges ab“, sagt Grünebaum. So zeigen viele Studien, dass Maßnahmen, die mit nächtlicher Aktivität verbunden sind, mit hohen Raten an Therapieabbrüchen verbunden sind.

Umso wichtiger ist es daher, dass Eltern offen und auch gelassen mit dem Thema Bettnässen umgehen. Keine leichte Aufgabe, wie Experten wissen: „Es ist unangenehm und belastend“, sagt Grünebaum. „Aber es ist behandelbar.“

Weitere Infos und Hilfestellungen für betroffene Eltern und Kinder gibt es bei der Initiative Trockene Nacht im Internet, www.initiative-trockene-nacht.de.