Künftig sollen Fotos auf Zigarettenschachteln abschrecken Foto: dpa

Am 20. Mai darf EU-weit keine einzige Zigarettenschachtel mehr produziert werden, die nicht die neuen Warnhinweise enthält. Die deutsche Politik sucht nach einem Sonderweg.

Berlin - Ende Mai wird es ernst: Da tritt die nächste Stufe der Regulierung von Tabakprodukten durch die EU in Kraft. Raucher werden sich dann an ein neues Erscheinungsbild der Schachteln gewöhnen müssen. EU-weit darf ab dem 20. Mai keine einzige Schachtel ohne die neuen Schockerfotos mehr produziert werden, die auf Lungenkrebs und andere Folgen des Nikotinkonsums hinweisen.

Obwohl die EU-Richtlinie schon am 3. April 2014, also vor fast zwei Jahren beschlossen wurde, gibt es noch immer kein Tabakgesetz, das die Bestimmungen in deutsches Recht umsetzt. Es gibt also, wenn man so will, keine Rechtssicherheit für die Industrie bei der Umsetzung der Richtlinie. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat sich mit der Arbeit am Gesetz viel Zeit gelassen. Doch nun wird es für die Hersteller von Zigaretten sehr eng. Im Februar wird es zwar im Bundestag eine Anhörung der Verbände in der Sache geben . Der Bundesrat muss auch noch gehört werden. Ob es das Tabakgesetz überhaupt noch ins Bundesgesetzblatt schafft und damit Gültigkeit erlangt, bevor die EU-Richtlinie in Kraft tritt, das steht in den Sternen. Vielleicht wird das Tabakgesetz auch erst nach der Sommerpause verabschiedet.

Der Industrie reibt sich über diese Hängepartie des Gesetzgebers insgeheim die Hände. Die Hersteller, vor allem BAT und Reemtsma, pokern offensichtlich und wollen so lange wie möglich die Schachteln mit den Schockerfotos von ihren Rauchern fernhalten. Wenn die Schachteln einmal produziert sind, so sieht es die Richtlinie vor, dürfen sie noch bis 20. Mai 2017 in den Verkauf gebracht werden. Ihr Kalkül ist wohl, dass dann nicht so viele mit dem Laster aufhören. Offiziell beklagen ihre Lobbyisten zwar fehlende Rechtssicherheit und erklären seit Monaten unaufhörlich, dass es aus technischen und betriebswirtschaftlichen Gründen inzwischen so gut wie ausgeschlossen sei, Ende Mai mit der Produktion der neuen Schachteln zu beginnen. Der Zigarettenverband hat zur Stützung dieser These eigens ein Gutachten anfertigen lassen.

Die Lobby stößt auf offene Ohren

Das stetige Lamento der Lobby hatte offensichtlich Erfolg. Es gibt handfeste Indizien, dass die Koalition den Herstellern entgegen kommen will und ihnen eine Übergangsfrist für die Herstellung der alten Packungen bis 31.12.2016 einräumen will.

Erstes Indiz: Bei der Regierungsbefragung ergriff Minister Schmidt die Partei der Industrie. Sein Gesetz enthält zwar die Frist für das Auslaufen der Produktion, wie sie die EU vorschreibt. Schmidt macht aber in seiner Rede deutlich, dass er ein Gesetz geschrieben habe, das die Industrie eigentlich wegen akuten Zeitmangels gar nicht durchsetzen kann. Dann fordert er den Bundestag unmissverständlich auf, sich über das EU-Recht hinwegzusetzen und im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens neue, der Industrie angenehmere Fristen ins Gesetz hinein zu schreiben. Dies geschieht mit dem Unterton strategischer Unterwürfigkeit vor dem Bundestag. „Mit der Demut“, die der Regierung eigen sei, wenn sie ein Gesetz dem Souverän vorlege, verweise er auf das „Strucksche Gesetz“. Dieses ungeschriebene Gesetz, das auf den damaligen SPD-Fraktionschef Peter Struck zurückgeht, besagt, dass kein Gesetz den Bundestag genauso verlässt wie es hinein kommt. Schmidt legt sodann nahe, es läge doch in der „Hand des Bundestages“, wenn sich noch Änderungen bei den Fristen ergeben sollten. Etwas später sagt er noch einmal: „Es liegt jetzt in der Hand des Parlamentes, pragmatisch zu denken.“

Es gibt noch ein weiteres Indiz, dass die Klagen der Lobby bei der Regierung auf offene Ohren stoßen. Dieser Zeitung liegt eine Gesprächsnotiz vor, die der Chef des Zigarettenverbandes, der ehemalige Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium, Jan Mücke, angefertigt hat. nachdem er mit dem zuständigen Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun, in der Sache der Fristen telefoniert hat. Darin heißt es: „Der Wortlaut der Richtlinie gebe leider keinen Spielraum her.“ Und weiter: „Man habe sich aber darauf verständigt, dass die Bundesregierung bei entsprechenden Änderungen im parlamentarischen Verfahren den Antragstellern nicht in den Arm fallen werde.“ Man könne sich „dafür einen Zeitraum bis zum 31.12.2016 vorstellen“.

Ein Vertragsverletzungsverfahren wird teuer

Klar ist: Wenn im Tabakgesetz eine andere Frist steht als von der EU gefordert, wird sich die EU-Kommission das nicht bieten lassen. Es wäre ein vorsätzlicher Vertragsbruch. Die Sache würde mit Sicherheit vor dem Europäischen Gerichtshof landen. Schon in dem Vorermittlungsverfahren, das die Kommission üblicherweise einleitet, kommen millionenschwere Bußgelder auf die Bundesrepublik zu. In einem förmlichen Vertragsverletzungsverfahren kann es dann richtig teuer werden. Offensichtlich nimmt die Koalition den Schaden in Kauf.