Die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien durch bereits hier lebende Landsleute gestaltet sich schwierig Foto: dpa

Im Rahmen eines Sonderprogramms des Landes durften syrische Familien 1000 Landsleute zu sich holen. Was als Soforthilfe gedacht war, gerät mancherorts aus den Fugen: Die Flüchtlinge leben ohne eigene Unterkunft, Arbeit, Geld und Krankenversicherung.

Stuttgart - 15 Leute in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Das ist der Alltag der syrischen Familie M. aus Stuttgart Bad-Cannstatt. Was vor gut einem Jahr so hoffnungsvoll begonnen hatte, ist längst zur Belastung geworden. Ihre Verwandten aus der Krisenzone in der Nähe der türkischen Grenze wollte die Familie aufnehmen, im Rahmen eines Sonderprogramms des Landes Baden-Württemberg. Die Flüchtlinge, allesamt Christen, waren froh, dem islamistischen Terror zu entkommen. Und finden sich mittlerweile in einer Situation wieder, die alle schwer belastet.

Die Landesregierung hat 2013 und 2014 für syrische Flüchtlinge ein Sonderkontingent eingerichtet. 1000 Menschen von dort durften ohne Asylverfahren kommen. Sie alle mussten in Baden-Württemberg nahe Verwandte nachweisen, erhielten im Gegenzug eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst zwei Jahre. Sie dürfen zudem arbeiten.

Die hier lebenden Familien mussten eine Verpflichtungserklärung abgeben. Darin wird geregelt, dass die sogenannten Kontingentflüchtlinge keinen Anspruch auf Sozialleistungen oder auf Sprach- und Integrationskurse haben. Auch krankenversichert sind die meisten nicht. Es ist vorgesehen, dass ihre jeweilige Familie sich komplett um sie kümmern muss.

Doch das wird auf Dauer zur Nervenprobe. „Die Situation ist katastrophal“, sagt Rimon Danha. Er lebt schon lange in Stuttgart und kümmert sich um seine Glaubensbrüder. Alleine in der Landeshauptstadt und den umliegenden Landkreisen sind ihm etwa zehn christliche Familien aus Syrien bekannt, insgesamt um die 50 Personen, die in solch beengten Verhältnissen leben. „Da teilen sich oft zwei, drei Familien eine Wohnung“, erzählt er. Das geht nicht lange gut. In Waiblingen etwa setzte eine Vermieterin eine Frist, in der die zusätzlichen Bewohner aus der überbelegten Wohnung ausziehen mussten. „Doch eigene Wohnungen zu finden ist für die Leute nahezu unmöglich. Sobald ich erwähne, dass sie keine Arbeit haben und kaum Deutsch sprechen, hat sich die Sache erledigt“, klagt Danha.

"Wir sind am Klinkenputzen"

Mittlerweile hat sich besonders im Bereich Bad Cannstatt, Neugereut und Hofen ein Kreis von Helfern gebildet, der versucht, die Flüchtlinge in eigenen Wohnungen unterzubringen. „Wir sind am Klinkenputzen, aber meist stößt man auf Ablehnung“, erzählt Alban Lämmle, der sich ebenso wie manche Kirchengemeinde für die Flüchtlinge einsetzt. Er glaubt, dass es sich bei den Kontingentflüchtlingen um eine Lücke in der Asylpolitik handelt: „Sie fallen einfach durch den Rost. Offizielle Asylbewerber werden untergebracht und versorgt, während diese Leute es wesentlich schlechter haben.“ Oft nähmen die Familien ihre Verwandten aus gutem Willen auf und seien dann mit der Zeit heillos überfordert.

Lämmle, Danha und ihre Mitstreiter haben es bis jetzt nur ganz selten geschafft, tatsächlich Wohnraum zu vermitteln. Dabei sind sie nicht wählerisch. Selbst die offizielle Flüchtlingsunterkunft in Hofen haben sie angefragt. Doch von dort haben sie ebenso eine Absage bekommen wie vom Liegenschaftsamt und der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft. Die Kriterien dort passen schlicht nicht auf die Flüchtlinge. Lediglich das Siedlungswerk will helfen, wenn sich eine Möglichkeit auftut. Bei der Stadt heißt es, weder Sozialverwaltung noch Ausländerbehörde sei bekannt, dass eine solche Gruppe Syrer in Stuttgart privat untergekommen sei. Dort ist bisher noch niemand vorstellig geworden.

Auch dem Integrationsministerium ist die Situation neu. „Probleme hinsichtlich der Unterbringung sind uns in dieser Fallgruppe bisher nicht bekanntgeworden“, sagt ein Sprecher. Die Menschen, die im Rahmen des „humanitären Aufnahmeprogramms“ gekommen sind, seien „nicht von den unteren Aufnahmebehörden unterzubringen, sondern von ihren hier lebenden Familienangehörigen“. Diese hätten sich verpflichtet, für den Lebensunterhalt aufzukommen. Den Flüchtlingen sei die „sofortige Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit“ gestattet. Nur: Eine solche ohne eigene Wohnung und Deutschkenntnisse zu finden entpuppt sich in der Realität als fast unmöglich.

Das weiß man auch beim Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Die Kontingentflüchtlinge seien ein großes Problem, heißt es dort. Ohne Arbeit sei es vielen auch nicht möglich, in die gesetzliche Krankenversicherung zu kommen. Der Stuttgarter Asylpfarrer Werner Baumgarten stößt immer wieder auf solche Fälle. „Der Staat wälzt dabei sämtliche Risiken auf die Eingeladenen ab. Und die Zivilgesellschaft muss es dann ein Stück weit ausbaden.“ Die Familie in Deutschland wolle die Angehörigen natürlich aus der Krisenregion holen, gehe deshalb auf die Verpflichtungserklärung ein. „Die Familien müssen sich aber auch darüber bewusst sein, was das bedeutet. Das darf nicht im Ruin enden.“

„Die Leute müssen auf dem Boden schlafen“, sagt Alban Lämmle, „und für ihre Verwandten werden sie zur Last.“ Für ihn ist diese Situation nur eines: „Alarmierend.“

Kontakt zu den Flüchtlingen ist möglich über das katholische Pfarramt Hofen unter 07 11 / 9 53 78 30.