Professor Michael Resch, der Leiter des Höchstleistungsrechenzentrums und damit Herr über Hornet, steht vor dem neuen Supercomputer. Foto: Rüdiger Ott

Auf dem Unicampus in Vaihingen steht einer der schnellsten Computer der Welt. Sein digitales Herz schlägt in 21 Schränken zum monotonen Surren der Kühlung.

Vaihingen - Der Boden unter den Füßen vibriert, und für einen Neuling in dieser Halle fühlt es sich an, als ob die feinen Schwingungen geradewegs durch die Beine in den Bauch wandern. Das Trommelfell drückt ins Ohr. Den Takt geben die riesigen Luftschächte vor, die sich silbrig glänzend unter die Decke ducken. Ein paar Minuten geht es ohne Gehörschutz. „Inzwischen gehe ich nicht mehr gern hier rein“, sagt Michael Resch, gegen die Geräuschkulisse ankämpfend. „Dieser Raum war vor zehn Jahren noch leiser.“

In diesem Raum, das muss man wissen, schlägt das digitale Herz eines der schnellsten Computer dieser Welt. Am Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) der Universität Stuttgart, recht unscheinbar in einem flachen Glaswürfel auf dem Vaihinger Unicampus versteckt, werden Datenpakete von schier unglaublicher Größe berechnet, verschoben, ausgespuckt, und das in einer noch viel unglaublicheren Geschwindigkeit. Auf einer Liste der Supercomputer rangieren die Stuttgarter seit wenigen Monaten auf Platz 16.

3500 Festplatten sorgen für ausreichend Speicherplatz

Resch ist der Leiter des HLRS, und damit auch der Herr über all die Maschinen in einer Halle von der Größe eines Tennisplatzes. „Das ist ein Spezialrechner aus Japan“, sagt der Professor, und zeigt mit einer Handbewegung nach rechts. Die Technologie, die in ihm steckt, könnte noch interessant werden, in ein paar Jahren. Versuchshalber wurde deshalb einer angeschafft. „Da links steht das alte System, das derzeit abgebaut wird.“ Hermit heißt der Supercomputer der alten Schule, hat ein paar Jahre auf dem Buckel, war damals aber gut für vordere Plätze in der Rangliste. „In der Mitte stehen die Platten“, sagt Resch. Auf Nachfrage verrät er, dass es insgesamt so an die 3500 Festplatten sind, die hier zusammengeschaltet sind. Und dann, rechts hinten in der Halle, steht er vor Hornet.

Hornet ist die neue Anschaffung der Vaihinger Forscher. Die nackten Zahlen sagen nur den Kennern etwas. Die maximale Rechenleistung liegt bei 3,8 Petaflops, das sind 3,8 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. Verantwortlich dafür zeichnen 94 656 Rechenkerne in 3944 Rechenknoten. Der Arbeitsspeicher beträgt 493 Terabyte. Geliefert wurde das System von den amerikanischen Spezialisten der Firma Cray, verpackt in 21 Schränke, deren Türen bunt bemalt sind, mit Punktewolken oder einem Sportwagen. Anwendungsbeispiele sind das, dazu aber später mehr.

Resch, der auch komplizierteste Dinge vereinfachen kann, drückt Hornet verständlicher aus. „Er ist 10 000-mal so schnell wie ein normaler Rechner, vielleicht auch 30 000-mal so schnell“, sagt er. Und der Aufbau, der sei eigentlich ganz simpel. „Sie haben einen Schrank. In einem Schrank sind mehrere Einschübe. In denen sind die Prozessoren. Und dann stellen Sie mehrere Schränke auf, und Sie haben einen Superrechner.“

Der Computer simuliert die Verbrennung im Kraftwerk

Die geballte Leistung brauchen die Vaihinger für Simulationen. Zum einen helfen sie Turbulenzforschern, die die Luftströme um Autos herum vorhersagen oder die Verwirbelungen an Tragflächen verringern wollen. Zum zweiten stellen sie im dreidimensionalen Raum Verbrennungsprozesse dar, mal im Zylinder eines Motors, mal im Hochofen eines Kraftwerks, und zeigen bildhaft, wie Sauerstoff- und Kohlenstoffströme sich wie zwei Wasserstrudel ineinander verzwirbeln. Und drittens berechnen sie Turbinenschaufeln.

Das kostet viel Geld. Der Vorgänger Hermit, das derzeitige Modell Hornet und der Nachfolger Hazel Hen, der schon bestellt ist und Hornet Ende dieses Jahres nach nur zwölf Monaten ablösen wird, haben zusammen mit 75 Millionen Euro zu Buche geschlagen. Allein die Wartung verschlingt noch einmal rund zwei Millionen Euro pro Jahr, der Stromverbrauch dürfte bald schon drei Millionen Euro kosten. Und dann sind da noch die rund 100 Mitarbeiter am HLRS.

Mit dem Aufzug geht es einen Stock tiefer. Wobei Stock im Grunde die falsche Bezeichnung ist. Die drei Meter unter dem Rechnerraum sind ein doppelter Boden. „Vermutlich ist das der größte doppelte Boden in Deutschland“, sagt Resch. Aus Büros kennt man das, die Kabelkanäle, die in dem Hohlraum unterm Teppich verlaufen. Und dort, bei Eisschranktemperaturen, verlaufen brustkorbdicke Wasserleitungen, mäandern Kabelbündel und rauschen die Klimaanlagen mit ohrenbetäubendem Lärm. 90 Prozent der Kühlleistung der Computer wird durch Wasser erbracht, zehn Prozent mit Luft, die permanent durch die Anlage geblasen wird.

Schnellste Internetverbindung der Welt

Gleich neben dem Ausgang steht ein weiterer Schrank, der sich von den anderen vor allem dadurch unterscheidet, dass aus seinem Innern ein Kabelwirrwarr quillt. Das Durcheinander ist ungewöhnlich für diesen Ort. „Über dieses Teil läuft die schnellste Internetverbindung der Welt“, sagt Resch im Vorbeigehen. „Zwischen hier und Dresden haben wir eine Verbindung mit einer Bandbreite von einem Terabit aufgebaut.“ Zum Vergleich: in Stuttgart kann man durchaus an einen Internetanschluss mit 50 Megabit in der Sekunde kommen, auf dem Land eher nicht. Die Vaihinger Verbindung ist da 20 000-mal schneller.

Da mutet es seltsam an, dass das HLRS aus dem Rennen um mehr Schnelligkeit ausgestiegen ist. Auf dem Papier ist der chinesische Supercomputer Tianhe-2 fast 15-mal schneller als Hornet, und der Rechner am US-amerikanischen Oak Ridge National Laboratory immer noch siebenmal. Aber beide, wie auch die meisten anderen Maschinen ganz weit oben in der Bestenliste, werden militärisch genutzt, für die Atomwaffenforschung. Für diesen speziellen Zweck sind sie gut, ansonsten beträgt ihre tatsächliche Leistung gerade einmal ein bis drei Prozent der Spitzenleistung. Die Vaihinger kommen da auf 16 Prozent.

Resch hat es sich gemütlich gemacht auf dem roten Sofa in seinem Büro. Hermit, Hornets Vorgänger, wird in Teilen wieder über den Atlantik geschickt, zurück zum Hersteller, wahlweise auch verschrottet. „Damit er nicht in falsche Hände gerät“, sagt er. Man will ja nicht aus Versehen gegen Embargos verstoßen und Probleme mit den Amerikanern bekommen. Was sich nach Klamotte anhört, ist ernst gemeint. „Vor einigen Jahren haben bei uns Leute aus dem Mittleren Osten angerufen“, sagt er. „Sie haben sich Mittelsmänner genannt.“ Dabei wisse jeder, dass nicht nur der Iran oder Nordkorea auch alte Supercomputer nur zu gerne für ihre Atomwaffenprogramme nutzen würden.