Gewissenhaft wird der Heldenanzug geföhnt, bevor Super-Archie die Welt retten kann. Am 9. Juni präsentiert er im Varieté sein Solo-Programm Foto: Friedrichsbau

Auf, ihr Helden – gönnt euch mal ’nen Reinfall! Die „Kultur des Scheiterns“ wird oft beschworen. Pannen sind ein super Treibstoff, um noch höher zu kommen. Super-Archie, Publikumsliebling im Friedrichsbau, zeigt, wie man in vier Sekunden zum Helden wird.

Stuttgart - Wir wissen nicht, was FDP-Chef Christian Lindner unter seinen exquisiten Anzügen trägt. Zum Hit bei Youtube ist seine Wutrede geworden, bei der er mit markigen Worten für Fehlschläge im Leben plädierte. Die Start-up-Szene und die gesamte Wirtschaft florierten nur dann, wenn man Fehler zulasse und sich nicht aus Angst vorm Scheitern selbst ausbremse. Wer weiß, ob bei einem Mann, der solche Worte spricht, nicht ein Strampelanzug unterm feinen Zwirn verborgen ist? Auf diesem Heldenstoff könnte ein großes A stehen. Das A ist das neue S.

A wie Anarchie oder A wie Archie.

Der kostümierte Recke, der ein S auf der Brust trägt, ist schon vor über 80 Jahren in die Welt geflogen. Von Superman haben wir gelernt, dass wahre Helden ein Doppelleben führen. Sie gehen einem ganz normalen, stinklangweiligen Job nach, um im entscheidenden Moment ihre Biederklamotten abzustreifen und mit dem Heldenumhang auf die Schnelle die Welt zu retten.

Archie Clapp, 28, der schrägste Vogel in der aktuellen Show „Clowns“ im Friedrichsbau Varieté, hat seinen pinkfarbenen Strampelanzug „immer an“, wenn er ausgeht. Erst darüber kommt die Unterhose. Der Berliner weiß ja nie, was in Stuttgart passiert, ob er zum spontanen Retten ausrücken muss – in der Stadt, in die er sich „auf den zweiten Blick“ verliebt hat. Weil der nicht gerade gertenschlanke Super-Archie, dem ständig was misslingt, mit anarchischem Wahnsinn beim Publikum so gut ankommt, darf er nun solo auf die Bühne. Am 9. Juni tritt der Sohn des britischen Entertainers Andy Clapp, 60, mit seiner One-Man-Show „Clappe, das ist Kunst“ im neuen Theater auf dem Pragsattel auf.

Dass er zum Publikumsliebling der Frühlingsshow geworden ist, erklärt er mit der „Möglichkeit zur Identifikation“, die er mit seinem Aussehen gibt. So etwas gefällt Zuschauern, die selbst nicht ganz perfekt sind. Extra für seine Bühnenrolle. sagt er, habe er sich „Fett aufspritzen lassen“. Allein mit Nutella ist das nicht zu schaffen.

Und wie wird man zum Helden? „In vier Sekunden“, sagt Archie. In vier Sekunden steht seine kegelförmige Einhornfrisur, von Spray zum Dauerständer verfestigt. Den Heldenanzug hat er ohnehin immer an – legt ihn auf der Bühne aber plötzlich ab.

Halbnackt zieht Archie einen Zuschauer aus den ersten Reihen auf die Bühne. um sich mit ihm bei der Leiter-Nummer hautnah zu verkuddeln und zu vermuddeln. Wie findet er die passenden Zuschauer, die engagiert mitmachen? „Für das Publikum ist es das Schlimmste, herausgefischt zu werden“, weiß der 28-Jährige, „noch mehr Angst als vor dem Tod haben die Leute davor, eine Rede zu halten – ein Auftritt auf der Bühne ist so ähnlich.“ Aber er führe keinen vor. Schon vor der Nummer hat er einen Blick in den Zuschauerraum geworfen und sich einen ausgeguckt, dem er das Mitspielen zutraut. Nur ganz selten, sagt er, passiere es, dass er merkt, den Falschen ausgesucht zu haben. „Dann kann es sein, dass ich ihn wieder zu seinem Platz führe und einen anderen nehme.“

Landauf, landab wird die „Kultur des Scheiterns“ gerühmt – bei Archie wird das Scheitern Kult. Aber wie lautet sein richtiger Name? Archie kann man doch nicht heißen! „Ich bin in England geboren“, antwortet er, „da gibt es Männer mit diesem Vornamen.“ Seine Mutter schreibe noch heute „Anarchie“ auf die Karte, wenn sie ihm eine schickt.

Jetzt oder nie – Anarchie! Sie ist, so zeigt sich hier, mit der Komödie verwandt. Wer behauptet, Ordnung sei das halbe Leben, sollte zu Super-Archie in die Show gehen. Die andere Hälfte ist Chaos – und aus dem lässt sich was machen.

Ein Superheld hat dem Friedrichsbau gerade gefehlt. Beim Umzug auf den Pragsattel lief nicht alles rund. Am Anfang waren die Klagen über das Provisorium so groß, dass sich das Varieté einen Retter herbeigesehnt hat. Nun ist er endlich da – hoffentlich nicht zu spät.

Jeder bekommt den Helden, den er verdient. Beim Friedrichsbau ist es Super-Archie, der uns Abend für Abend eines lehrt: Durch Scheitern wird man g’scheiter.