Schnittl-Tonig ist im Passeiertal bekannt. Sein Konterfei war auf einem großen Willkommensplakat für die Nationalmannschaft abgebildet. Foto: Cyris

Im Passeiertal bereitete sich die deutsche Nationalelf auf die WM vor. Nach dem Rummel geht dort wieder alles seinen gewohnten Gang.

St. Martin - Aus Fotos hat sich der Schnittl-Tonig nie viel gemacht. Er, der genügsame Schaf- und Ziegenhirte aus St. Martin. Er, der lieber auf eine Bergwiese schaut als auf einen gepflegten Fußballrasen. „Da wachsen keine Kräuter“, sagt er, „das gibt kein gutes Heu.“ Doch vor kurzem wurde er zum Star. Sein Konterfei zierte großflächige, kaum zu übersehende Plakate. Mit seinem grauen Filzhut lachte er den Besuchern im Passeiertal entgegen. Den bärtigen Charakterkopf, der eigentlich Anton Pichler heißt, kennt jeder im Tal. Auf seiner täglichen Dorfrunde durch St. Martin kommt er am Hotel Jager Hans vorbei. Dort, schräg gegenüber, stand „sein“ Plakat als Willkommensgruß für die Nationalmannschaft.

Wie jeden Tag erfrischt er sich an der Theke vom Jager Hans. Dann geht es weiter, mit einem alten Weidenkorb auf dem Rücken. Für die Fotosession hatten sie ihm Fußbälle hineingelegt. Doch jetzt befinden sich wieder kleine Bimmeln und Glöckchen darin sowie viel Heu. Das bekommen seine Schafe und Ziegen. Auch Fußballer bekommen Heu. Besser: Geld wie Heu. „Das staubt weniger als meines“, grinst der Tonig. Der Schnittl-Tonig passiert die Abzweigung zum Hotel Andreus. Dort residierten Jogi Löw und seine Mannschaft. Während des Trainingslagers nahm der Hirte kaum Notiz vom Rummel rund um das Fünf-Sterne-Haus. Vor fünf Jahren wurde die Nobelherberge eröffnet. Sie liegt neben einem 18-Loch-Golfplatz. Statistische Auslastung: unglaubliche 97 Prozent. „Vom angeblichen Konkursbetrieb zum DFB-Quartier“, resümiert Richard Fink augenzwinkernd, der das Andreus mit seiner Frau Helga betreibt.

„Dieser Weg wird kein leichter sein"

„Wir sind große Fans der deutschen Mannschaft“, sagt Helga Fink. „Wir hoffen, dass wir unseren Teil dazu beigetragen haben, dass sie bei der WM weit kommt.“ Sie zeigt die Suiten, in denen Jogi Löw und Oliver Bierhoff residierten. Auch den Tisch, an dem offenbar die Taktikbesprechungen stattfanden - unter versilberten Hirschgeweihen. Womöglich ein gutes Omen. Motto: Gegner auf die Hörner nehmen. Eine Fußball-WM ist freilich kein lockerer Durchmarsch. „Dieser Weg wird kein leichter sein.“ Der Kabinensong der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM von 2006 mag manch einem in den Kopf schießen, der die nördliche Zufahrt ins Passeiertal gewählt hat.

„Ich hatte Todesangst“, stöhnt ein niederländischer Gast, „scheiß Navi.“ Hätte der gute Mann mal lieber auf eine Landkarte geschaut. Die zeigt klar, dass man ins Passeiertal besser über Meran fährt. Doch wer die Verantwortung an die Technik abgibt, findet sich schnell auf dem engen Jaufenpass wieder. Für bergunerfahrene Flachlandtiroler nur bedingt empfehlenswert. Der Jaufenpass ist ein echter Steilpass, schwindelerregende Serpentinen inklusive. Immerhin wartet ein phänomenales Bergpanorama. Auf grüne Almen, spitze Kirchtürme und kühne Wanderwege. Erst die Gegner schwindelig spielen und dann beste Perspektiven haben - das klingt nach einem Plan für einen erfolgreichen WM-Verlauf. Zwischendrin müssen die Kicker noch reichlich rennen und schwitzen. In der Sauna vom Hotel Andreus konnten sie dafür schon mal üben.

„Das Trainingslager war ein Sechser im Lotto“

Das Fitnessteam des Hauses hatte extra den „Brasilianischen Aufguss“ für die deutsche Elf kreiert. Reguläre Hotelgäste kommen jetzt auch in diesen heißen Genuss: „Mit exotischen Duftnoten und hoher Luftfeuchtigkeit, wie bei der WM in Brasilien“, erklärt Tanja Ennemoser, amtierende italienische Saunameisterin. Einmal genau so heiß sein wie Manuel Neuer oder Mats Hummels - im Passeiertal ist das möglich. Cool und gelassen wie immer spaziert der Schnittl-Tonig in Richtung Dorfzentrum. Die Passer rauscht wild tosend durchs Tal. Ein paar Meter daneben befindet sich der Fußballplatz, auf dem die Kicker Pässe und Flanken übten. „Das Trainingslager war ein Sechser im Lotto“, schwärmt Ulrich Königsrainer, Präsident des Tourismusvereins Passeiertal. Die Gäste im Tal kämen zu 70 Prozent aus Deutschland. Jetzt werde das Tal einen weiteren Schub erhalten.

Den Massentourismus fürchtet er nicht: „Bei uns stimmt die Mischung aus Tourismus, Handel, Handwerk und Landwirtschaft. Unser Alltagsleben ist authentisch geblieben. Wir Passeirer sind sehr heimatverbunden und bodenständig.“ Für den Schnittl-Tonig ist jeglicher Rummel um Stars und Sternchen eine ferne Welt. Er kommt am Martinerhof vorbei und grüßt den Wirt: „Griaß di!“ Florian Fontana ist Chef des einzigen Brauhotels in ganz Italien. Die Biere locken Gäste von weit her: Märzen, Weizen und Barfüßer-Bier. Es heißt so, weil Fontana passionierter Barfußläufer ist. Er besitzt die Trikots aller Länder, die bislang einen Fußballweltmeister hervorgebracht haben.

Er wechselt täglich durch, jahrein, jahraus. Jeden achten Tag ist das schwarz-rote Deutschland-Trikot an der Reihe. In ähnlichen Farben schimmert das neue Gebräu aus Fontanas Braukessel: Der Diavolator, ein Starkbier mit strammen zehn Prozent. Das haut rein wie ein Freistoß von Toni Kroos. Gut auf den Beinen sollte sein, wer sich bei einem der Dorffeste unter die Einheimischen mischt. Denn Tanzmusik ist ein fester Bestandteil in den Dorfschenken. Beim „Fanclubwalzer“, der „Jaufenwindpolka“ oder dem „Pseirer-Gruaß“ geht’s hoch her. Auch beim Mitterwirt, im alten Dorfkern von St. Martin, erklingt Wirtshausmusik.

Ein Gasthaus wie aus dem Geschichtsbuch. Hier verkehrte Tirols Nationalheld Andreas Hofer, als er noch ein schlichter Weinhändler war. Beim Mitterwirt soll Hofer im Jahre 1800 eine Wette abgeschlossen haben, die ihm jenen langen Rauschebart einbrachte, der jedem Südtirol-Urlauber so vertraut sein dürfte wie Speck und Schüttelbrot. Die Schafe und Ziegen vom Schnittl-Tonig begnügen sich mit dem täglichen Einerlei: würziges Heu von den Kräuterwiesen aus dem Passeiertal. Seit 61 Jahren bewirtschaftet der Tonig Tiroler Almen. Auch in diesem Sommer. Erst vor kurzem hat der 80-Jährige den Pachtvertrag für seine Alm verlängert. Um weitere fünf Jahre. Optimismus und Wille sind eben alles. Im Fußball wie im wahren Leben.

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Infos zu Südtirol

Anreise
Von Stuttgart über die A 8 bis Kreuz Ulm, dort auf die A 7 bis Füssen. In Österreich über B 179 und A 12 über den Brennerpass Richtung Bozen bis Bozen-Nord, dort über die SS 44 über Meran ins Passeiertal.

Unterkunft
Der Martinerhof in St. Martin ist das einzige Brauhotel in ganz Italien, ausgezeichnete Biere und Pizzen, ideal für Motorradfahrer, jeden letzten Freitag im Monat ist Musikantenstammtisch, es wird zünftig getanzt und gefiedelt, ab 40 Euro pro Person inklusive Frühstück, www.martinerhof.it .

Schlafen wie die Stars: Das Hotel Andreus war Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft während des Trainingslagers im Vorfeld der WM. Das Fünf-Sterne-Haus bietet allen erdenklichen Luxus, riesiger Wellness-Bereich mit allem Drum und Dran, neben dem Haus befindet sich ein 18-Loch-Golfplatz, ab 141 Euro pro Person in der Junior-Suite, www.andreus.it .

Aktivitäten
Das Passeiertal ist eine Hochburg fürs Skiken, einer Mischung aus Langlaufen und Inlineskaten. Dank Andreas Augscheller, einem skikenden Bauern, der auch Kurse anbietet: www.global-sport-service.com . Zum Museum Passeier gehören das Bunkermuseum in Moos sowie die Dauerausstellung „Andreas Hofer“ in St. Leonhard über den Tiroler Nationalhelden, der aus den Passeiertal stammte, Eintritt 8 Euro, www.museum.passeier.it .

Allgemeine Informationen
Südtirol-Information: www.suedtirol.info , Passeiertal: www.passeiertal.it