Rezzo Schlauch bei der Feier zu seinem 70. Geburtstag mit EU-Kommissar Günther Oettinger (links), dessen Sohn Alexander und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (rechts). Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Feiern gehört zu den Kernkompetenzen von Rezzo Schlauch: Mit 400 Gästen, darunter etlichen Polit-Promis, hat es der Ur-Grüne am Freitagabend zu seinem 70. Geburtstag in der Cannstatter Kulturinsel krachen lassen.

Stuttgart - Jetzt muss einer dringend ran! Ohne Rezzo geht Jamaika daneben! Raus aus der Rente! Das Buch im Din-A 3-Querformat, das 55 Freunde und Journalisten ihm zum 70. Geburtstag geschrieben und am Freitagabend geschenkt haben, legt schonungslos offen, was schiefläuft im Land, seit ein Machtmacho und Pastorensohn mit raumgreifender Stimme die politische Bildfläche freiwillig verlassen hat. Anno 2005 war’s. So lang ist’s her!

„Die Grünen sind heute genussfeindlich und verklemmt geworden“, steht in dem Buch, mit dem der einstige Staatssekretär beim Fest in der Cannstatter Kulturinsel überrascht worden ist. Sie bräuchten einen Referenten für die Freuden des Lebens. Und die nächste Regierung bräuchte so einen erst recht! Das wäre Rezzos Job!

3,8 Prozentpunkte fehlten zum OB-Sessel

Spaß und Genuss standen schon immer weit oben auf seiner politischen Agenda. Zum 70. Geburtstag kleckert Stuttgarts Fast-OB Rezzo Schlauch (wegen gerade mal 3,8 Prozentpunkten ist er 1996 nur Zweiter geworden) nicht – im früheren Güterbahnhof lässt er’s für etwa 400 Gäste mit Hilfe von Sponsoren krachen. Es gibt Gaisburger Marsch, Gegrilltes und Trollinger – an festlich gedeckten Tischen im alternativen Kulturzentrum.

Viele sind von weither angereist. Der Noch-Außenminister Sigmar Gabriel kam zwar wegen der Sturmfolgen nicht, dafür der Immer-Weiter-EU-Kommissar Günther Oettinger, der Tübinger OB Boris Palmer wie der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking – sie alle feiern, nah am Wasen, auf einer Insel der urbanen Kultur, wo es vor Frohsinn brummt, als würden Anekdoten schunkeln. Außerdem gesehen: Innenminister Thomas Strobl, der frühere Moderator Wieland Backes, Normahl-Sänger Lars Besa, Musiker Helmut Zerlett, Comedian Michael Gaedt, Südwestbank-Chef Wolfgang Kuhn, Kulturmanager Johannes Zeller, Rudolf Böhler, der Vorsitzende der bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall, SWR-Moderatorin Petra Klein, Musiker Sir Waldo Weathers, Bürgermeister Werner Wölfle und viele andere.

Die Redner liefern lustige Anekdoten, vom Moderator Roland Baisch bestens dazu animiert. OB Fritz Kuhn erzählt, wie Rezzo ihn im Urlaub in Portugal nur mit einer Plastiktüte besucht habe, in der sich alles befand – nicht mit einem Koffer. Ministerpräsident Winfried Kretschmann nennt Schlauch ein „disziplinertes Arbeitstier“. Und Oettinger meint, in Rezzos Umgebung fühle sich jeder wohl. Die Street Line Band spielt „Let the good times roll“, ein Lieblingslied des Jubiläumsgastgebers, der heute in etlichen Aufsichtsräten sitzt und Honorarkonsul von Albanien ist, für das Heimatland seiner Partnerin Ema Ndoja – es ist die Aufforderung, das Leben zu genießen und dafür zu sorgen, dass es mit guten Zeiten immer weiterläuft, in allen Daseinsabschnitten.

Schlauchs Lebensabschnitte könnten kaum bunter und extremer sein. Der Aufstieg des 70-Jährigen, der in Bächlingen aufgewachsen ist, führte in Schlangenlinien vom Sozialistischen Zentrum im Umfeld der Stuttgarter Hausbesetzer-Szene zum Zentrum der Berliner Macht. Als Rechtsanwalt war Schlauch in den 80ern ein „alternatives Stadt-Original“, wie es im Geburtstagsbuch heißt. In den 90ern unterstützte er als Stammgast das Zapata im Abrissgelände hinterm Hauptbahnhof mit lateinamerikanischer Lässigkeit. „Er sah aus wie Karl Marx“, erinnert sich der chilenische Zapata-Macher und Filmregisseur Marcelo Lagos, „als ich mit ihm in Havanna war, sagten die Kubaner, da geht Carlitos Marx mit Mojito spazieren.“

„Er sah aus wie Karl Marx“

1975 ist Schlauch nach Jura-Studium in Freiburg und Berlin in eine Stuttgarter WG an der Senefelder Straße gezogen – im ersten Stock über einer Kollektivdruckerei. „Die Jahre waren geprägt von spannenden Prozessen und unbeschwerter Lebensfreude“, schreibt einer der damaligen Mitbewohner. Einmal musste Rezzo mit Gerichtsvollzieher zur Pfändung ins Leonhardsviertel. Das Geld, das seinem Mandant zustand, war nicht einzutreiben. Der Imbissbetreiber, der zahlen musste, war nicht da. Also ging Schlauch nebenan in eine Animierbar, die gerade aufgemacht hatte, um herauszubekommen, wo der Currywurstbrater war. Später in der Kanzlei fiel ihm auf, dass sein Geldbeutel fehlte. „Du hattest ihn wohl in der Bar an den Tresen gelegt“, erinnert sich der Freund, „dumm gelaufen, die Pfändung.“

Fuhr Rezzo Porsche?

Ein früherer Journalist der „taz“ erklärt, wie „fressen, saufen, streiten“ bei Rezzo Schlauch zusammenging wie bei keinem anderen. In den Medien habe sich die Annahme verbreitet, dass der „Obergrüne“ („Spiegel“) einen Porsche besaß. Auch in der „taz“-Redaktion habe manch einer gezischt: „Der Schlauch fährt doch Porsche!“ Damit sei alles klar gewesen. Dabei hatte Schlauch nie einen. Für den „Stern“ ließ er sich in einem Öko-Porsche (Verbrauch: 3,4 Liter) fotografieren. Privat sei er ein früher Car-Sharer gewesen und habe den visuell orientierten „Stern“-Leuten den Wunsch erfüllt. „Den Text liest bei uns eh keiner“, hätten die gesagt, „aber das Foto wird knallen.“

Es hat so sehr geknallt, dass sich die Porsche-Mär bis heute gehalten hat. Dementiert hat er sie nie, „weil ich sie witzig fand“. Mit dem „Rezzo-Trick“, schreibt ein Freund, sind die Grünen schließlich zur stärksten Partei im Land geworden. Der Trick ist: Nicht im eigenen Saft braten. Die Angel nicht nur in den grünen Teich halten, sondern das schwarze Gewässer leerfischen. Mit emotionalem Bauchgefühl den Menschen ganz nah sein.

Anders als der nun 70-Jährige fährt FDP-Chef Christian Lindner heute Porsche. Mit welchem Grünen also könnte dieser am besten nach Jamaika cruisen? Rezzo Schlauch könnte als Staatssekretär für Lebensfreude noch dringend gebraucht werden! Alles Gute zum Siebzigsten!