Nach der letzten Gemeinderatswahl taten sich der Stadtist Ralph Schertlen (links), die SÖS (hier der damalige Stadtrat Gangolf Stocker) und die Linke (rechts im Bild Christoph Ozasek) zu einer Zählgemeinschaft zusammen. Darüber wird jetzt wieder diskutiert. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Rathaus stellt die Verteilung der Ausschusssitze in Frage. Aber Stadtverwaltung und Regierungspräsidium haben nichts gegen die Zweckgemeinschaft, die dem Stadtisten und der Riege von SÖS/Linke-plus Vorteile verschaffte.

Stuttgart - Die Attacke kam unerwartet. Mit einem Beitrag in den Grünen Blättern, einer Veröffentlichung seiner Fraktion, hat Grünen-Fraktionschef Andreas Winter überraschend die Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus sowie den Einzelstadtrat der Stadtisten, Ralph Schertlen, aufs Korn genommen. Damit belebte er die Diskussion um sogenannte Zählgemeinschaften wieder. Das sind Zusammenschlüsse von Gruppierungen mit dem Ziel, gemeinsam zahlenmäßig stärker zu sein – und bei der Verteilung von Sitzen in Gemeinderatsausschüssen mehr zu bekommen.

„Hauptsache Zählgemeinschaft. Inhaltliche Nähe? Egal!“, hat Winter den früheren Verbündeten im öko-sozialen Lager und Schertlen in der November-Ausgabe vorgehalten. Die Zählgemeinschaft hatte Schertlen vor der Verteilung der Ausschusssitze mit der achtköpfigen Fraktionsgemeinschaft gebildet. Ohne sie würde Schertlen nur in der Vollversammlung sitzen, in keinem Ausschuss oder Aufsichtsrat. SÖS/Linke-plus hätten nicht in einigen Gremien drei Sitze, sondern generell nur zwei. Inhaltlich, erinnert Winter, harmonieren Schertlen und die Fraktionsgemeinschaft nur bedingt. So war der Stadtist beispielsweise anders als SÖS/Linke-plus dagegen, die Eignung des Standortes Tauschwald für Windkraftanlagen weiter zu untersuchen. Der Prüfantrag von OB Fritz Kuhn (Grüne) blieb im Umwelt- und Technik-Ausschuss daher chancenlos. Im Fall des Eiermann-Areals war Schertlen mit CDU, FDP und Freien Wählern für weniger Wohnflächen als der Rest der Stadträte, die Verwaltung und die Experten.

Früher war die öko-soziale Mehrheit schlagkräftig

Kurzum: Schertlen vertrete immer wieder andere Positionen als SÖS/Linke-plus. Inhaltliche Nähe stehe bei der Liaison nicht im Vordergrund. Es sei nur um mehr Sitze gegangen. Dem Wählerwillen entspreche das nicht. Obwohl die Grünen unter Winter seit gut einem Jahr eng mit der CDU zusammenarbeiteten, fast schon kuschelten, trauert Winter in dem Beitrag der früher häufiger mobilisierten öko-sozialen Ratsmehrheit aus Grünen, SPD und SÖS/Linke nach.

Früher war die öko-soziale Mehrheit schlagkräftig. Seit der letzten Kommunalwahl können Grüne (14 Sitze), SPD (9), SÖS (3) und Linke (3) nur mit dem Piraten und dem Vertreter der Studentischen Liste 31 von 60 Ratssitzen zusammenbringen. Zudem hat OB Kuhn eine Stimme. Andererseits kommen CDU (17), Freie Wähler (4), AfD (4), FDP (3) und Schertlen auf bis zu 29 Stimmen. Nicht zufällig bemüht sich CDU-Fraktionschef Alexander Kotz immer wieder fast liebevoll um den Stadtisten. Schertlen steht zur Zählgemeinschaft. Die bringe ihm einen Ausschusssitz und der Fraktionsgemeinschaft einen Sitz mehr. „Eine Zählgemeinschaft ist eine Zählgemeinschaft und nicht mehr.“ Es gebe inhaltliche Schnittmengen, aber nicht völlige Übereinstimmung, machen Schertlen und Torsten Puttenat, Vorstandsmitglied der Stadtisten, deutlich. Deshalb sei Schertlen auch nicht in der Fraktionsgemeinschaft.

RP hält Zählgemeinschaft für rechtens

Mit Schwierigkeiten müssen sie nicht rechnen, obwohl das Bundesverwaltungsgericht 2003 in einer Entscheidung nach einem Rechtsstreit in Nordrhein-Westfalen dem Sitze-Sammeln in Ausschüssen mit Hilfe von Zählgemeinschaften eine Abfuhr erteilte – weil andere Mehrheitsverhältnisse entstehen als bei der Kommunalwahl gewollt und als im Gemeinderat abgebildet. Aus dem Grund hat auch das Rechtsamt von Freiburg im Breisgau 2009 einen Strauß mit zwei Gruppierungen im Gemeinderat ausgefochten. Das Regierungspräsidium (RP) Freiburg meinte damals, Zählgemeinschaften seien zulässig, wenn sie auf Dauer angelegt sind und nicht missbräuchlich eingesetzt werden.

Das RP Stuttgart als Aufsichtsbehörde für die Landeshauptstadt hält die Zählgemeinschaft in Stuttgart für rechtens. Der neue Stuttgarter Verwaltungsbürgermeister Fabian Mayer (CDU) holt das Urteil der Kommunalrechtsexperten in der Verwaltung ein. Unterdessen hat eine Debatte am 29. November im Technik-Ausschuss unterstrichen, dass in der Zählgemeinschaft der Haussegen schief hängt. Als Schertlen dem Ausbau der Nord-Süd-Straße in Möhringen auf vier Spuren das Wort redete, stöhnte Luigi Pantisano (SÖS) auf: Das sei schon schwierig, wenn der Stadtist mit ökologischen Konzepten antrete und jetzt für den schlimmen Ausbau eintrete.