Intendant Jossi Wieler vor dem Stuttgarter Opernhaus Foto: dpa

Während der Intendanz von Klaus Zehelein wählte die Zeitschrift „Opernwelt“ die Stuttgarter Oper fünf Mal zum Primus inter Pares. Wenn der renommierte Preis nach zehn Jahren jetzt wieder nach Stuttgart geht, dann zeugt dies von der hohen Anerkennung für die Arbeit unter dem Intendanten Jossi Wieler.

Stuttgart - Die Zeit war reif, schon lange. Seit mindestens zwei Jahren war das Team rund um den Intendanten Jossi Wieler ein heißer Kandidat für die bekannteste Auszeichnung, die es im Opernbetrieb gibt. „Opernhaus des Jahres“: Dieses Prädikat, das der prägendste Opernintendant Stuttgarts, Klaus Zehelein, während seiner 15-jährigen Amtszeit nicht weniger als fünf Mal für sein Haus errang, prämiert eine Einzigartigkeit, welche die Stuttgarter Oper heute wieder für sich reklamieren kann. 2016 fußt sie auf einem Spagat zwischen Hermetik und Öffnung, Konzentration und Vielfalt, Ernsthaftigkeit und lustvollem spielerischem Experimentieren – und auf einer respektvollen Behutsamkeit im Umgang mit Kunst und Künstlern.

Dabei war der Weg hin zum bestehenden Zustand künstlerischer Glückseligkeit kein gerader. Es war der Weg eines Künstlers: eines sensiblen Regisseurs-Intendanten, der sich bei seinem Amtsantritt ein kleines, abgeschlossenes Opern-Elysium erträumte, in dem er gemeinsam mit festen Freunden Gültiges und Beständiges schaffen wollte. Dass er drei Jahre später seinen Kurs änderte, war ebenfalls die Entscheidung eines durch und durch künstlerisch denkenden Menschen, denn für den ist das Scheitern keine Niederlage, sondern immer nur das Ende eines Weges und der Beginn eines neuen. 2011 übernahm der Regisseur Jossi Wieler die Intendanz der Oper Stuttgart mit dem Ziel, dem rasant rotierenden Karussell der großen Namen und spektakulären Ereignisse im Opernbetrieb ein Modell entgegenzusetzen, das neu wirkte und doch schon vom legendären Berliner Regisseurs-Intendanten Walter Felsenstein Mitte des 20. Jahrhunderts praktiziert worden war: eine konzentrierte Musiktheater-Werkstatt, in der ein festes Team dem Kern des Zauberwesens Oper näherkommen sollte. Das Hermetische seines Entwurfs hat Wieler 2014 aufgebrochen: Die Hausregisseurin Andrea Moses ging, dafür kamen Regisseure mit sehr unterschiedlichen, meist starken, eigenständigen Handschriften, und in der Kombination mit den Inszenierungen Jossi Wielers und seines musikalisch, sprachlich und historisch überaus kundigen Dramaturgen Sergio Morabito ergab sich seither ein fruchtbarer Humus, auf dem die Kunst wächst, gedeiht und bunte Blüten austreibt.

Das Ereignis der Saison: Kirill Serebrennikovs „Salome“

Für deren bunteste sorgte in der vergangenen Saison sicherlich Kirill Serebrennikovs spannende und bedrückende Inszenierung von Richard Strauss’ „Salome“, die im Wettlauf um die „Inszenierung des Jahres“ bei der „Opernwelt“ übrigens nur vom Monumentalereignis der Saison, Karlheinz Stockhausens „Donnerstag“ aus „Licht“ in Basel, überholt wurde. Anstelle schwülstiger Erotik gab es in Stuttgart einen sehr heutigen Psychothriller über eine deformierte Gesellschaft in Zeiten des Terrors. Und man erlebte zudem, was seit Jahren zum Markenzeichen des Hauses am Eckensee geworden ist: Musiktheater als Miteinander, als ein Wunderwerk des gemeinsamen Wirkens an der Kunst. Der Dirigent (Roland Klutting), das Staatsorchester, die Sänger (vor allem Matthias Klink als Herodes und Simone Schneider als Salome, beide im von Christian Gerhaher gewonnenen Sänger-Ranking der Fachzeitschrift ebenfalls ganz weit oben), die szenisch motivierte und eingebundene Videotechnik: Das war alles eins, und als Zuschauer der Stuttgarter Oper spürt man das als gebündelte Energie, die von der Bühne aus in den Saal hinein strahlt.

Diese Energie hat sogar dort gewirkt, wo sich das Bemühen der Interpreten an einem leicht schwächelnden, weil musikalisch ein wenig klebrig geratenen Objekt abarbeitete: bei Philipp Boesmans’ Oper über Arthur Schnitzlers „Reigen“. Die Exzellenz des (maßgeblich von der Operndirektorin Eva Kleinitz gepflegten) Stuttgarter Sänger-Ensembles war hier schon deshalb besonders deutlich zu spüren, weil die Regisseurin Nicola Hümpel mit jedem einzelnen Darsteller feine Charakterstudien erarbeitete; dass diese bis hinein in kleinste Zuckungen der Mimik reichten, fing eine Kamera ein, und die ineinander übergehenden Räume auf Oliver Proskes Bühne ergänzten das turbulent-ironische Spiel – ein Abend für Augen, auch schön.