Der Zuffenhäuser Wilhelm Boger wurde auch „Bestie von Auschwitz“ genannt. Das Bild zeigt ihn auf der Anklagebank während des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Foto: dpa

Vor 50 Jahren ist Wilhelm Boger beim Auschwitz-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er wird von Zeitzeugen als einer der schlimmsten Sadisten des Konzentrationslagers bezeichnet.

Zuffenhausen - Vor 50 Jahren, im Sommer 1965, ist in Frankfurt am Main der Auschwitz-Prozess zu Ende gegangen. Im bis dato größten Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte standen 22 Männer wegen der Verbrechen vor Gericht, die sie in dem NS-Vernichtungslager begangen haben. Einer der Angeklagten war der Zuffenhäuser Wilhelm Boger.

Grausamkeit, ohne Rücksicht auf menschliches Leben

„Boger-Schaukel“ – was sich harmlos und nach einem Spielgerät anhört, war in Wirklichkeit ein teuflisches Folterinstrument. Diese „Schaukel“ bestand aus zwei aufrecht stehenden Holmen, in die eine Eisenstange quer hineingelegt wurde. Boger ließ die Opfer in die Kniebeuge gehen, zog die Eisenstange durch die Kniekehlen hindurch und fesselte die Hände der Opfer daran. Dann befestigte er die Stange in den Holmen, so dass der Delinquent mit dem Kopf nach unten und dem Gesäß nach oben hing. Hierauf schlug Boger das Opfer mit einem Ochsenziemer oder einem Stock, und zwar vor allem auf das Gesäß und die Geschlechtsteile. Diese Tortur überlebten nur wenige, viele Häftlinge waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Das war bei weitem nicht die einzige Grausamkeit, die die „Bestie von Auschwitz“, wie er im Lager genannt wurde, beging. So berichtete Zeugin Dounia Zlata Wasserstrom während des Auschwitz-Prozesses: „Ein kleiner Junge im Alter von vier bis fünf Jahren sprang vom Lkw herunter. Er hatte einen Apfel in der Hand. (...) Boger ging zu dem Kind hin, packte es an den Füßen und warf es mit dem Kopf an die Wand. Den Apfel steckte er ein. (...) Eine Stunde später kam Boger und rief mich zum Dolmetschen. Dabei aß er den Apfel. Das Ganze habe ich mit eigenen Augen gesehen. Das Kind war tot.“

Er wird als einer der schlimmsten Sadisten bezeichnet

Geboren wird Wilhelm Boger am 19. Dezember 1906 in Zuffenhausen als Sohn eines Kaufmanns. Er besucht die Fangelsbach-Bürgerschule (heute: Heusteigschule) in Stuttgart-Süd, wo er 1922 die Mittlere Reife erlangt. Als Sechzehnjähriger tritt er der NS-Jugend, der Vorläuferorganisation der Hitlerjugend, bei. 1929 wird er NSDAP-Mitglied und tritt in die SA ein, von der er ein Jahr später zur SS wechselt. Zunächst arbeitslos, geht er 1933 zur württembergischen politischen Polizei. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs übernimmt er 1939 das Grenzpolizeikommissariat der polnischen Stadt Ostrolenka. Dort erhält er den Beinamen „Henker von Ostrolenka“. Bereits ein Jahr später wird er degradiert, suspendiert und muss sogar kurz wegen Beihilfe und Nötigung zur Abtreibung ins Gefängnis. Dies hat eine Strafversetzung an die Ostfront zur Folge, wo Boger 1942 verwundet wird. Nach Ablauf der Bewährung im Dezember 1942 wird er schließlich nach Auschwitz versetzt. Dort, so berichten Zeitzeugen, entwickelt er sich zu einem der schlimmsten Sadisten. Das von ihm erfundene Folterinstrument nennt er „Sprechmaschine“, da die Opfer unter den Schmerzen nahezu alles zugeben, was man von ihnen hören will.

Boger flüchtet, doch letztlich muss er sich verantworten

Nach Kriegsende taucht Boger ab, wird aber in Ludwigsburg von der US-Militärpolizei verhaftet. 1946 soll er nach Polen ausgeliefert werden, flieht aber. Drei Jahre ist er unerkannt als Hilfsarbeiter in Crailsheim tätig, ein Entnazifizierungsverfahren übersteht er schadlos. 1950 kehrt er zurück an seinen Geburtsort Zuffenhausen, wo er Arbeit bei der Firma Heinkel findet – unter seinem richtigen Namen. Im März 1958 holt ihn seine Vergangenheit schließlich doch ein: Ein wegen Betrugs einsitzender ehemaliger Auschwitz-Häftling zeigt ihn bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart an. Diese Anzeige löst umfangreiche Ermittlungen aus und führt Boger letztendlich auf die Anklagebank in Frankfurt.

Während des Prozesses grinst Boger Zeugen zynisch an und springt mitunter auf, um sie mit „Heil Hitler“ anzuschreien. Er streitet die ihm zur Last gelegten Taten ab und zeigt keinerlei Reue. Im August 1965 wird er wegen Mordes in fünf Fällen, gemeinschaftlichen Mordes in 109 Fällen und wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 1000 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. 1977 stirbt er im Gefängnis.

Ein Buch erzählt von den NS-Tätern aus Stuttgart

Bogers Geschichte wird auch in dem Buch „Stuttgarter NS-Täter“ erzählt. Darin kommt auch seine Enkelin Ursula zu Wort. Das meiste über ihren Großvater, so schreibt sie in dem Kapitel „Das große Schweigen“, habe sie aus Büchern und dem Internet erfahren. In der Familie sei über das Thema „weitgehend geschwiegen“ worden. Sie selbst habe jahrelang aus Scham niemanden erzählt, Enkelin dieses „Monsters“ zu sein. „Er hat brutal auch kleine Kinder getötet, und ein Foto von mir als kleines Kind hing im Gefängnis an der Wand inmitten der anderen Enkelkinder. Das bringe ich nicht zusammen.“