Busse in Stuttgart: Die Umwelthilfe bemängelt sie, die SSB verteidigen sie Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Umweltschützer erhöhen den Druck, um bessere Luft in Stuttgart zu erreichen. Die Deutsche Umwelthilfe klagt konsequentere Maßnahmen ein. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann, Stuttgarts OB Fritz Kuhn und die Automobilindustrie gehen in Abwehrstellung.

Stuttgart - Weitgehende Fahrverbote für Diesel-Pkw, Diesel-Taxis und unsaubere Linienbusse: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) glaubt, dass man mit solchen Maßnahmen in Stuttgart „sehr kurzfristig“ die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) einhalten könnte – wenn die Behörden nur wollten. Gleiches gelte für Köln, Bonn, Aachen, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen und Frankfurt/Main. Daher hat die DUH jetzt Gerichtsklagen gegen die Bundesländer eingeleitet, die in diesen Städten für Luftreinhaltung zuständig sind. In Darmstadt, München und Wiesbaden will der Umweltverband frühere Gerichtsurteile vollstrecken lassen. Im Fall von Reutlingen bereitet er ein Vollstreckungsverfahren vor.

Taxis mit Erdgasmotor erwünscht

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann und Stuttgarts OB Fritz Kuhn (beide Grüne) nahm der DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch am Donnerstag in Berlin ganz besonders ins Visier. Sogar in Stuttgart sei die Stickoxid-Belastung in den letzten Jahren „kaum gesunken“, obwohl hier ein grüner OB und eine grün-rote Landesregierung am Ruder seien. Das enttäusche ihn besonders, sagte Resch.

Alle Busse im öffentlichen Nahverkehr müssten kurzfristig mit Einbauten ausgerüstet werden, die Rußpartikel und Stickoxide mindern, forderte Resch. Viele tausend angeblich moderne Busse hätten das nicht – zumindest nicht wirksam im normalen Fahrbetrieb. Diesel-Taxis will die DUH durch saubere Gasfahrzeuge oder Benzin-Hybrid-Taxis ersetzt wissen. Der Bund solle eine blaue Umweltplakette für Fahrzeuge einführen, die auch im Realbetrieb, nicht nur auf dem Prüfstand abgasarm sind.

Streit um Dieselmotor

Frontal ging Resch die Dieseltechnik an: „Diesel-Fahrzeuge haben ihre Zukunft verspielt“, sagte er, weil die Bundesregierung gegenüber den Automobilkonzernen die Einhaltung der geltenden Abgas-Grenzwerte für Diesel-Pkw nicht durchsetze.

Die gescholtenen Politiker in Stuttgart reagierten umgehend mit einer gemeinsamen Pressemitteilung. Die Belastungen mit Feinstaub und Stickoxiden in Stuttgart seien in den vergangenen Jahren „teils deutlich zurückgegangen“, ließen Hermann und Kuhn wissen. Und man wolle die Luftbelastung spürbar senken. Dafür habe man ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen. Dazu gehört ein Feinstaubalarm, dessen Befolgung zunächst freiwillig ist. Bei dicker Luft und kritischen Wetterlagen sollen die Menschen aus dem Ballungsraum Stuttgart die Autofahrt in die Landeshauptstadt vermeiden und die Stuttgarter nicht mehr die Kaminöfen anwerfen. 2018 soll das notfalls verpflichtend werden. Außerdem will man auf noch mehr Steigungsstrecken in Stuttgart das Tempo auf 40 Stundenkilometer begrenzen. Die Schadstoffwerte in Stuttgart seien, weil von weither Pendler per Auto in die Stadt kommen, ein Problem der Metropolregion.

Autoindustrie will Grüne Welle

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) relativierte das Problem noch mehr. In den Gebieten, in denen die EU-Kommission die Überschreitung von Grenzwerten für Feinstaub und Stickoxid bemängle, seien laut Bundesregierung nur wenige Menschen betroffen, „so etwa im Ballungsraum Stuttgart lediglich 90 Personen“. Damit meine man Menschen, die bei den Messstellen und direkt in der Umgebung wohnen, erklärte der VDA auf Nachfrage. Er setzt auf die schnelle Verbreitung von Diesel-Pkw der Euro-6-Norm. Deren Stickoxid-Ausstoß sei maximal halb so stark wie bei Vorläufermodellen – „der Diesel wird damit zur Lösung des Problems“. Noch schnellere und umfassendere Wirkung habe die Einrichtung von Grünen Wellen. Das Beispiel der Hohenheimer Straße in Stuttgart zeige, dass ein stetigerer Verkehrsfluss die Zahl der Überschreitungen des NO2--Grenzwerts um etwa 90 Prozent verringern könne.

Der Stadtklimatologe Ulrich Reuter vom Amt für Umweltschutz konnte sich allerdings nicht erklären, warum im Ballungsraum nur 90 Personen von übermäßigen Luftschadstoffen betroffen sein sollen. Grund: Laut der Landesanstalt für Umwelt und Messungen Baden-Württemberg waren die Grenzwerte für NO2 im Jahr 2014 in Stuttgart auf fast 100 Kilometern Hauptstraßen überschritten worden, im Ballungsraum auf 180 Kilometer. Beim Feinstaub ging es um acht Kilometer in Stuttgart, um rund elf Kilometer im Ballungsraum.

SSB verteidigt sich gegen Kritik

Dass man gegen die Überschreitungen etwas tun müsse, sei klar, sagte Reuter. Ob die Klage die Verbesserung der Luft beschleunigen könne, wisse er nicht. Es gebe ja schon zwei Vertragsverletzungsverfahren, die die EU wegen der Grenzwertüberschreitungen in Stuttgart gegen den Bund eingeleitet hat. Reuter: „Druck ist genug da.“

Die Verkehrsbetriebe SSB hatten dem DUH schon im Juni widersprochen: Bei Stuttgarts Linienbussen erfülle das jeweilige Abgasreinigungssystem auch im Alltagsbetrieb seine Aufgabe – gemessen an den Vorgaben für das jeweilige Modell. Statt nachzurüsten spare man für neue Busse.