Eisbären leiden unter dem Klimawandel Foto: dpa

Die Allianz hat es getan. Leonardo DiCaprio, der norwegische Staatsfonds, Seattle und San Francisco. Sie haben ihr Geld anders angelegt: Raus aus Kohle, Öl und Gas. Die Stadt Stuttgart soll es ihnen nachmachen. Das fordern die Aktivisten von Fossil Free und auch die Grünen und SÖS/Linke.

Stuttgart - Die Welt retten, das ist ein hehrer Anspruch. Und seit je hat man Menschen, die das wollten, als Spinner, Weltfremde und Gutmenschen tituliert. Doch schaut man sich im Umweltzentrum an der Rotebühlstraße um, sieht man keine Hippies und Esoteriker, die da an Plakaten und Transparenten für den Klimamarsch am Samstag basteln. Francesco Maltoni etwa ist Ingenieur, er wohnt ganz sicher nicht im Wolkenkuckucksheim. Er sagt: „Es geht ums Geld, das macht die Sache ja so reizvoll: Die Divestment-Kampagne nutzt die Logik des Kapitalismus, um ihre Ziele zu erreichen.“ Nämlich die Welt nicht noch mehr zu erhitzen, das Klima nicht noch mehr aus den Fugen geraten zu lassen.

Doch was ist Divestment? Da verweisen wir auf die Flasche Bier von Bill McKibben: Der amerikanische Nobelpreisträger nutzt sie gerne auf der Bühne, um das Problem zu erklären. Mit dem Kohlendioxid sei es so wie mit dem Alkohol, die Menge macht’s – und trinkt einen Schluck. Aber man müsse die Grenzen kennen. Die hat er ausgerechnet. Die Staaten wollen die Erwärmung des Klimas auf zwei Grad begrenzen, dafür dürfe man bis 2050 maximal 565 Gigatonnen CO2 freisetzen. Verbrennt man aber die bekannten Reserven an Öl, Gas und Kohle, setzt man fünfmal so viel frei. Daraus zieht McKibben nun den Schluss, diese Reserven sind nichts wert, weil sie nicht genutzt werden dürfen. Ergo sind Anlagen in Unternehmen, die damit Geschäfte machen, viel weniger wert als bisher angenommen. Und man muss sie schleunigst loswerden, bevor sie wirklich wertlos werden. Der Erdölkonzern Exxon Mobil befand, das sei „Blödsinn“.

Mit Erdöl reich geworden

Banker, Fondsmanager und Kämmerer auf der ganzen Welt sehen das anders. Maltoni: „Es funktioniert, mittlerweile sind über 2,6 Milliarden US Dollar aus fossilen Unternehmen abgezogen worden.“ Der Investmentfonds der Rockefeller-Erben, ironischerweise mit Erdöl reich geworden, hat sich von seinen Beteiligungen getrennt. Ebenso der norwegische Staatsfond, der reichste der Welt. Brisbane in Australien, Oxford in England, Seattle und San Francisco in den USA machen mit, der Weltkirchenrat, die Uni Hawaii, die Allianz und Leonardo DiCaprio. Der Versicherungskonzern Axa ebenso, weil er sagt: „Eine Zwei-Grad-Welt lässt sich vermutlich noch wie heute versichern. Eine Vier-Grad-Welt eher nicht mehr.“

Als erste deutsche Stadt hat Münster erklärt, sich von Öl, Gas und Kohle zu verabschieden. Hanne Hagedorn hat die nötigen Denkanstöße geliefert. Derzeit macht sie ein Praktikum in Stuttgart, sie studiert aber in Münster. Über einen Stadtrat habe man eine Anfrage gestellt, die Beteiligungen der Stadt öffentlich zu machen. Als das geschehen war, begann die Lobbyarbeit. Aktionen, Gespräche, Überzeugungsarbeit, mit erfolgreichem Ende. Hagedorn: „Schließlich hat der Stadtrat für die Umschichtung gestimmt.“

Das soll nun auch in Stuttgart geschehen. Mittels einer Petition suchen sie Unterstützer. Sie fordern, „die städtischen Geldanlagen und Investitionen der Stadt offenzulegen; keine neuen Investitionen in Konzerne zu tätigen, die Gewinne mit der Förderung von fossilen Brennstoffen machen; eigene Anteile an direkten und indirekten Beteiligungen in solchen Unternehmen, Aktien, Mischfonds, Unternehmensanleihen innerhalb der nächsten fünf Jahre abzuziehen, das heißt zu desinvestieren.“

Damit stoßen sie bei einigen Stadträten auf offene Ohren. Mittlerweile, muss man sagen. Im Juli noch hatte SÖS/Linke-Fraktionschef Hannes Rockenbauch die Offenlegung aller Anlagen gefordert. Er wolle wissen, wo und wie das Geld erwirtschaftet werde. Unterstützung fand er damals keine. Offenbar ändert sich das. Auf Nachfrage sagt Grünen-Fraktionschefin Anna Deparnay-Grunenberg, sie habe Kämmerer Michael Föll mündlich aufgefordert, die Anlagen offenzulegen. Dies solle im neuen Jahr geschehen. Es gibt bereits Anlagekriterien, fossile Energieträger sind aber bisher nicht tabu. Das soll sich ändern, sagt Deparnay-Grunenberg. „Wir unterstützen das.“

Zwei Milliarden in die SSB gepumpt

Eine Milliarde Euro hat die Stadt fest angelegt, das sind vor allem Rücklagen, etwa für S 21 und den Rückkauf der Wasserversorgung. Weitere 613 Millionen Euro stecken in der städtischen Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (SVV). Darin sind etwa die SSB und die Stadtwerke zusammengefasst. Und gut zwei Milliarden Euro hat man in die LBBW gepumpt. Deshalb würde SÖS/Linke-Stadtrat Christoph Ozasek gerne wissen, womit die Bank Geld verdient. 2011 hatten diverse Umweltschutzorganisationen Banken untersucht, laut dieser Studie hatte die LBBW damals 1,2 Milliarden Euro in die Kohleindustrie investiert. Ozasek: „Wenn man Geld verdienen will, muss man da schleunigst raus.“ Das gelte natürlich auch für die städtischen Anlagen. „Je länger man wartet, desto mehr Geld macht man kaputt.“

Kaputt, das ist ein gutes Stichwort. Das Motto der Stuttgarter Parade, mit der man den Weltklimagipfel in Paris zum Handeln anstacheln will, lautet: „It’s our fucking future“. Unsere Zukunft ist es, und, ja, man kann durchaus fluchen, wenn man sich anschaut, was seit dem ersten Weltklimagipfel in Rio de Janeiro im Jahre 1992 geschehen ist. Der Ausstoß von Kohlendioxid ist seitdem um 60 Prozent gestiegen, doppelt so viel Kohle wird abgebaut, dreimal so viele Menschen sind geflogen und eine Milliarde Autos wurden verkauft, die Durchschnittstemperatur der Erde ist um 0,5 Grad gestiegen. Die Welt braucht viele Retter – auch in Stuttgart.

Am Wochenende vor dem Weltklimagipfel in Paris lädt das Junge-Umwelt-Bündnis zum Klima-Marsch. Start ist am Samstag, 14.30 Uhr, in der Lautenschlagerstraße.