„Eine Riesenehre für einen Haufen Kanaken“: Das vielköpfige Spaßmacher-Kollektiv Rebell Comedy hat das Stuttgarter Kabarettfestival eröffnet Foto: Veranstalter

Das 24. Stuttgarter Kabarettfestival startet mit Rebell Comedy. Deutsche Marokkaner, Iraner und Türken auf der Bühne. Deutsche Griechen, Russen und Albaner im Publikum und ein bewegendes Gedicht: Acht Ethno-Komiker des Ensembles Rebell Comedy haben am Freitag das Stuttgarter Kabarettfestival eröffnet.

Stuttgart - Gerade im deutschsprachigen Raum scheint die Trennung der Begriffe „Kabarett“ und „Comedy“ gesellschaftlich bedeutsamer denn sonst wo auf diesem verkorksten Planeten. Verkorkst, weil sich seine Bewohner mit derlei Erbsenzählerei intensiv auseinandersetzen können, aber für die Beseitigung existenzieller und offenkundiger Missstände Jahrzehnte oder Jahrhunderte benötigen. Während diese Genreunterscheidungsfrage betroffene Künstler selbst meist nur peripher tangiert, geriert sich manch Gast gerne als „Kabarettfan“, um sich von vermeintlich weniger intellektueller „Comedy“ zu distanzieren.

Was bedeutet es also für das 24. Stuttgarter Kabarettfestival, dass es am Freitag im Theaterhaus von einer Gruppe eröffnet wurde, die sich bereits mit dem Ensemblenamen unverhohlen positioniert: Rebell Comedy, ein vielköpfiges Gespann aus Ethno-Komikern diverser Migrationshintergründe. Der Albtraum aller Nazi-Nulpen. Die „Erzeugergemeinschaft Stuttgarter Kabarett“ verzichtete erstmals darauf, das Auftaktprogramm selbst zusammenzustellen. Man ließ den Rebellen freie Hand. Conférencier Khalid Bounouar kommentierte das gewohnt schnoddrig: „Eine Riesenehre für einen Haufen Kanaken.“ Zur Show gehört DJ Wati, der bereits vor Beginn am Mischpult steht und den Raum mit Discobässen füllt. Später muss er sich von den Witzboldkollegen Sprüche anhören: „Trainierst du? Echt? Sieht man gar nicht.“

„Sie sprechen unsere Sprache aber gut!“

Offensichtliche Auswirkungen hatte der Konzeptwechsel auch aufs Gästebild: Jünger, vielfältiger. Bounouar fragte die Herkünfte ab: „Haben wir Griechen hier?“ Jubelmeldungen aus verschiedenen Ecken. „Echt? Wie habt ihr das Ticket bezahlt?“. Und Russen? „Schon betrunken?“. Albaner? „Das Messer bitte zu Hause lassen!“ Wer sich an derlei Klischeeverwertung stört, dürfte den ausverkauften T1-Saal zur Pause verlassen haben. Insgesamt acht Herren gaben sich das Mikro in die Hand. Sie alle eint eine Erkenntnis: Das eigene Seelenleben entspricht letztlich dem, was Personen mit Neigung zur Klassifikation als „Deutsch“ bezeichnen würden. Der optisch differenten Fleischhülle zum Trotz. Doch der Mensch ist halt ein Augentier. Für die Psyche der anderen fehlen die präzisen Rezeptoren.

Der in Marokko geborene Benaissa Lamroubal etwa wuchs in Neuss am Rhein auf. Er beantwortet Fragen wie „Sie sprechen unsere Sprache ja gut! Wie lange leben Sie schon hier?“ mit „Seit zwei Tagen.“ So ventiliert die Komik das ohnehin Absurde. Auch Mimikmeister Hany Siam setzt sich mit seiner Erscheinung auseinander: „Bei meiner Erschaffung dachte sich Gott: Dem zeig ich’s richtig! Du bist dunkelhäutig. Und Araber. Und Moslem. Viel Glück!“ Die besten Gags sind allerdings jene jenseits des Klischees. Denn ob Iraner, Marokkaner oder Türke: Die Ethnien gegenüberstellenden Scherze fußen ja doch meist auf derselben Prämisse: Der Urdeutsche ist ein vertrauenswürdiger, penibler, aber eben auch blass-fader Zeitgenosse, während das Kind ausländischer Eltern eigenen Schwächen sowie fremdenfeindlicher Skepsis mit Extrovertiertheit und Einfallsreichtum begegnet.

Es gibt auch Platz für einen durch und durch ernsthaften Moment

Dass die Wirklichkeit solche und solche kennt – geschenkt. Es gibt an diesem Abend keine feinen Analysen des Systems, wie man sie von Kabarettgrößen wie Georg Schramm oder aus dem unbedingt empfehlenswerten ZDF-Format „Die Anstalt“ kennt. Der Aufklärungsgehalt ist gering. Rebell Comedy setzt vielmehr auf rustikale Seitenhiebe: „Ich glaube, als Frauke Petry auf die Welt gekommen ist, ist so ein Typ mit ‘nem Vorschlaghammer durch die Baby-Station gelaufen“, sagt der am lautesten beklatschte Stuttgarter Özcan Cosar. Einen durch und durch ernsthaften Moment kennt die Darbietung jedoch auch: Babak Ghassim und Usama Elyas, die 2005 Rebell Comedy gründeten, tragen vor der Pause im Duett das bewegende Gedicht „Hinter uns mein Land“ vor. Selbiges vermengt Stimmen eines syrischen und eines jüdischen Flüchtlings aus den Jahren 2015 und 1938. Sie erzählen von Ertrinkenden, zurückgelassenen Kindern, frischen Elterngräbern. Vom sogenannten Empfang am Ziel einer für hartherzige Wohlstandsbürger gar nicht vorstellbaren Reise. Das Publikum erhebt sich applaudierend von den Sitzen.

Der radikale Ansatz, die Eröffnung gänzlich in Rebellenhände zu geben, dürfte ein paar neue Besucher aufs Festival aufmerksam gemacht haben. Dass Freunde des Filetmessers der Komik nicht ganz befriedigt nach Hause gehen, musste man dafür in Kauf nehmen. Vielleicht aber bahnt sich somit ja für die Zukunft eine Durchmischung von Hau-drauf-Humor und feinsinnig pointiertem Witz an. Ja, vielleicht schütteln die Menschen dieser Zukunft verwundert den Kopf, wenn man sich nach der Grenze zwischen Comedy und Kabarett erkundigt.

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