Eingang zum Bergwerk der Gipsfabrik in Cannstatt, wo die Familie Schüle den Grundstein für ihr Firmen-Imperium legte. Foto: Gips-Schüle-Stiftung

Mit zwei Fabriken in Bad Cannstatt und einer weiteren in Untertürkheim versorgte der Familienbetrieb Schüle weite Teile des Landes mit Gips. Daraus erwuchs ein Imperium, das weit in die Region reichte. Heute gelten die vormaligen Gipsbrüche in Untertürkheim als herausragendes Terroir für Weine preisgekrönter Winzer wie Wöhrwag und Aldinger.

Stuttgart - Gips gibt’s am Neckar wie Steine auf dem Alb-Acker. Bad Cannstatt und Untertürkheim wurden deshalb im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Dorado für Baustoffhändler. Die ersten mit einem Hang zum Abbau von Gips waren Eduard und Marie Schüle. Die beiden gaben ihre Gerberei in Esslingen auf und bauten 1870 in der Haldenstraße in Bad Cannstatt die erste Gipsfabrik.

Die Schüles waren auch in technischer Hinsicht Pioniere: Eine der ersten Dampfmaschinen Stuttgarts wurde in ihrer „Stuttgarter Gypsgeschäft AG“ in Gang gesetzt und trieb die Riemen der Steinbrecher und Mahlaggregate an. Und während allerorts noch Pferdefuhrwerke Lasten beförderten, nahm Schüle um 1900 die ersten Lkw Stuttgarts in Betrieb.

Der Ausbau des Gips-Imperiums begann mit dem Kauf landwirtschaftlicher und gipshaltiger Grundstücke in Cannstatt und Untertürkheim. Die im Steinbruch Kreutelstein (im Gebiet der heutigen Rommelshauser Straße) gebrochenen Steine wurden in Bad Cannstatt gebrannt und gemahlen. Die zweite Gipsfabrik entstand 1890 im Kienbach, der heutigen Dinkelsbühler Straße, in Cannstatt – das verkürzte die Wege zwischen Förderung und Verarbeitung. 1910 bauten Schüles an der Augsburger Straße in Untertürkheim die dritte Fabrik. „Das Werk hat unmittelbaren Gleisanschluss; 1933 haben 1900 Eisenbahnwagen zu zehn Tonnen“ Gips die Fabrik verlassen, heißt es im Untertürkheimer Heimatbuch.

Gut im Geschäft in der ganzen Region

Transportlogistik war auch beim Abbau gefragt. Anfangs holten die Männer den Gips unterirdisch aus dem Berg und brachten ihn mit Feldbahnwagen zum Mahlen. Ein Briefkopf der Firma aus dem Jahr 1936 zeigt jedoch, dass auf Seilbahnbetrieb umgestellt worden ist. Im Stadtplan von 1937 ist die 800 Meter lange Seilbahn eingezeichnet.

Nach dem Tod von Eduard Schüle übernahmen die Söhne Bruno und Emil Schüle die Geschäfte. Sie kauften Beteiligungen an anderen Gipsbrüchen und -handelsbetrieben, zum Beispiel in Leonberg, Roigheim, Ottendorf, Deißlingen und Entringen, und sie bauten in Altingen bei Herrenberg eine weitere Gipsfabrik.

Heute macht der Gips Weine preiswürdig

Während die Seilbahn in den 1930er Jahren den Gips zu Tal brachte, lasen Arbeiter oben auf dem Berg Weintrauben: Die Unternehmer hatten den Betrieb einer eigenen Kelterei und Kellerei aufgenommen. Der Betrieb der Gipswerke wird 1974 eingestellt, im selben Jahr entscheidet die Winzer-Familie Aldinger, auf diesem Terroir wieder Wein anzubauen. Dem ehemaligen Gipsabbau widmete man den Namen „Untertürkheimer Gips“. Derzeit zählt der Untertürkheimer Gips zu den Flaggschifflagen und ist im Alleinbesitz des Weingutes von Gert Aldinger.

Auf demselben Untergrund gedeihen auch die Weine des renommierten Winzers Hans-Peter Wöhrwag. Sein „Untertürkheimer Herzogenberg“ gehört ebenfalls zu den Weinen mit unverwechselbarem mineralischem Charakter.