„Supporting Film“ nennt der NiederländerDouwe Dijkstra seine Einlassung zum ganz speziellen Ritual des Filmeschauens. Foto: Filmwinter

Das Foyer des Theaters Rampe wandelt sich jeden Abend zum Zahnradbahndepot – insoweit ist auch der Hauptspielort des Filmwinters recht passend zum diesjährigen Motto „Formwandler“.

Stuttgart - „Der Filmwinter ist ja dafür bekannt, dass er Grenzen auslotet und schaut, wo die Zwischenräume sind“, formuliert Filmwinter- Mitorganisator Marcus Kohlbach. Die Aussage gilt nicht nur für die von ihm koordinierte Expanded-Media-Ausstellung gilt, sondern besonders auch für den internationalen Kurzfilmwettbewerb, dessen Auswahl stets das Bemühen widerspiegelte, die ganze Formenvielfalt im Kurzfilmbereich zu zeigen – ob experimentell, dokumentarisch, szenisch, animiert oder alles zusammen.

Als „Kurzfilm über Film“ kündigt der niederländische Regisseur Douwe Dijkstra bei der Eröffnung am Donnerstag „Voor Film“ an, der sich mit Sehgewohnheiten, Erwartungen, Klischees und Bedingungen des Mediums befasst – mit O-Tönen von Interviewten, lustvoll übertrieben und teils grotesk in gespielte oder animierte Szenen übersetzt.

Man erfährt, wie absurd ein Gehörloser die Einblendung „dramatische Musik“ empfindet bei einer ohnehin als dramatisch wahrgenommenen Szene, köstlich illustriert mit Spielzeugautos und -figuren. Oder wie Tönen von Waldvögeln eine baumlose Schlammlandschaft untermalen und wann dort eine Figur mit Motorsäge Sinn ergibt – richtig: bei einer Zombie-Apokalypse. Ein so witziger wie fantasievoller Auftakt, das Publikum amüsiert sich prächtig.

Cait Davis variiert in ihrer Knetanimation die Entstehung von Adam und Eva

Als denkbar unterschiedliche Beschäftigungen mit Formwandel lassen sich auch die sehr kurzen Beiträge „Descent“ von Johan Rijpm (Niederlande) und „Change Isn’t Always Easy“ von Cait Davis (USA) deuten: In „Descent“ fällt immer wieder ein Becher herunter und zerbricht, die Scherben wachsen daraufhin in die Höhe, zu stets ganz unterschiedlichen Skulpturen. Davis wiederum variiert in ihrer Knetanimation die Entstehung von Adam und Eva – heraus kommt ein wunderlicher Mensch-Pflanzen-Hybride, der prompt umkippt. „Es ist nie leicht, sich darüber klar zu werden, wer oder was man ist, und man kann dabei auf die Schnauze fallen“, erläutert die anwesende Regisseurin, deren Ausführungen für ähnlich viel Heiterkeit sorgen wie ihr Film.

„Tabula Rasa“ heißt auf Lateinisch „leere Tafel“, folglich widmet sich der gleichnamige Film von Elizabeth Webb und Lisa Truttmann (USA) der Leere: Ein Autokino in Kalifornien wird porträtiert, doch alles ist leer – die Leinwand, der Parkplatz, die Landschaft drumherum. Kein Mensch weit und breit, man hört und sieht nur Autos und Regen. Kontemplativ, wenn auch etwas lang.

Umso dichter wirkt „Dark Light“ des Briten John Smith: Er berichtet über eine Reise ins kommunistische Polen sowie nach Ostdeutschland wenige Jahre nach der Wende, stellt eigene idealisierte Vorstellungen darüber gegen die der dort lebenden Menschen und begleitet diese lakonische Reflexion über Wahrnehmungsmuster mit einer so sparsamen wie stimmigen Bildmetapher.

Gleich drei Mal geht es an diesem Abend um Krieg

Für bedrohliche Atmosphäre sorgt der einzige szenische Film des Programms, die französisch-amerikanische Produktion „Jonathan’s Chest“ von Christopher Radcliff. Ein Teenager steigt nachts ins Zimmer des jungen Alex ein, behauptet, dessen seit langem für tot erklärter Bruder zu sein und deutet ein düsteres Familiengeheimnis an. Das Ende bleibt offen, die Spannung löst sich nicht.

Gleich drei Mal geht es an diesem Abend um Krieg: In „This We Will Defend“ lässt Elisabeth Smolarz einen Afghanistan-Veteranen das Konzept des Krieges analysieren sowie die von ihm verursachten Veränderungen in den Menschen – mit sehr wenigen Worten, aber so pointiert, dass diese lange nachhallen. 100 Jahre zurück geht der Holländer Pim Zwie, er collagiert Archiv-Fotos aus dem Ersten Weltkrieg zu einem Panorama der Widersprüche: Auf selbstbewusst blickende Soldaten in prunkvollen Uniformen sowie militärische Ordnung und Präzision folgen Bilder der Kriegs-Zerstörungen und des Chaos – einfach, aber sehr wirkungsvoll.

Eher durch Zufall entstanden ist schließlich nach Aussage der Künstlerinnen der Film „Es ist ein Schnitter“ des Stuttgarter Duos Böller und Brot: Beim Betrachten unzähliger Fotos von Blüten in rascher Folge hätten sie deren filmische Qualität entdeckt, sagt Sigrun Köhler, eine Hälfte des Duos. Zur Untermalung wählten sie eine Interpretation des Volksliedes „Es ist ein Schnitter“ aus dem 17. Jahrhundert, vermutlich aus dem 30-jährigen Krieg stammend, ein so düsteres wie hypnotisches Stück Musik, dessen Zeile „Hüte dich schöns Blümelein!“ ein immer schnelleres Blüten-Crescendo begleitet. Der magische Abschluss eines Eröffnungsprogramm, das auf weitere künstlerische Blüten Appetit macht.