Katarzyna Gondek begleitet in ihrem Film „Najwyzszy“ eine riesige Statute von Papst Johannes Paul II. in einen Freizeitpark Foto: Veranstalter

Das diesjährige Filmwinter-Motto „Welcome to the New Age“ bezieht sich auf Auswirkungen der digitalen Revolution auf unser Leben und die Kunst. Am Donnerstag feierte das Festival Eröffnung im Theater Rampe.

Stuttgart – Es gibt tatsächlich noch Orte in Stuttgart, an denen der Filmwinter noch nicht war. Das Theater Rampe zum Beispiel, in dem das seit Jahren vagabundierende Experimentalfilm- und Medienkunstfestival am Donnerstagabend eröffnet worden ist. Das diesjährige Festivalmotto „Welcome to the New Age“ hat allerdings nichts mit dem neuen Spielort zu tun, sondern unter anderem mit den Auswirkungen der digitalen Revolution auf unser Leben und die Kunst. Und obwohl sich das Motto nur auf das Rahmenprogramm bezieht, gab es auch in der ersten Rolle des Kurzfilmwettbewerbs, traditionell das Herzstück des Festivals, so manche neuen Welten zu entdecken.

Film – ein Bildexperiment

Der Eröffnungsfilm „Twelve Tales Told“ des Österreichers Johann Lurf ist gleich ein zwölffacher Anfang: Lurf mixt ein Dutzend Studio-Logos aus Vorspännen von Hollywoodproduktionen in immer schnellerem Rhythmus, zerhackt die ikonischen Marken zum Stakkato aus Bild- und Tonschnipseln.

Langer Titel, kurzer Film: Mit „A Very Large Increase In The Size, Amount, or Importance of Something Over a Very Short Period of Time“ erweist sich der gebürtige Ulmer Max Hattler einmal mehr als Virtuose abstrakter Animation. Auf einen Urknall lässt er Wachstums- und Wandlungsprozesse bunter Blasen folgen, selten wirkten geometrische Formen so organisch.

Für pointierten Trash sorgt Stefan Möckel. In „Herr H. Andy“ thematisiert der Braunschweiger Super-8-Freak, der auch den diesjährigen Festivaltrailer verantwortet, den modernen Albtraum des Handyverlustes – gewohnt ultrakurz, gewohnt komisch.

Die Österreicherin Anna Vasof zelebriert lustvoll die Absurdität. Sie befreit in ihrem Beitrag „Down to Earth“ den Schuh von der funktionalen Beschränkung, bequemer Fortbewegung zu dienen, und präsentiert 28 Modelle, die der Erfinderwelt Daniel Düsentriebs entstammen könnten. Mausefallen, Hammer oder Pfannen sind durch so originelle wie haarsträubend sinnlose mechanische Apparaturen mit dem Schuhwerk verbunden, die bei der Bewegung ausgelösten Prozesse sorgen für große Heiterkeit.

Ebenfalls aus Österreich kommt Experimentalfilmer Thomas Draschan. Er widmet sich in „Wotruba“ der Wiener Wotruba-Kirche, die der Bildhauer Fritz Wotruba vor 40 Jahren aus 152 einzelnen Betonkuben konzipiert hat. Draschan filmt nicht einfach die spektakuläre Architektur ab, sondern reiht Einzelaufnahmen so aneinander, dass die nun ruckeligen und fragmentierten Bilder kongenial die Wirkung von Wotrubas Formensprache verstärken – grandios.

Vom Verschwinden und religiösen Phänomenen

Religiöse Phänomene

Für den 22-minütigen Beitrag „Inferno“ der israelischen Regisseurin Yael Bartana müsste man wohl die Genrebezeichnung „Monumentalkurzfilm“ erfinden. Mit vielen Statisten und digitalen Effekten lässt sie in São Paulo einen gewaltigen Nachbau des antiken Jerusalemer Tempels entstehen und während einer bombastischen Zeremonie einstürzen. Orte, Menschen und historische Kontexte, alles wirkt disparat, in verwirrenden Konstellationen neu zusammengesetzt, auf faszinierende Weise verstörend.

Am Ende sieht man an einer neuen Klagemauer brasilianische Händler jüdisch inspirierte Merchandising-Produkte verkaufen – Bartana verarbeitete eigene Beobachtungen über die verbreitete Präsenz jüdischer Symbole im katholischen Brasilien.

Von religiösem Glauben gespeiste Gigantomanie aus ganz anderem Blickwinkel zeigt die Polin Katarzyna Gondek: In „Najwyzszy“ begleitet sie die Herstellung der größten Papststatue der Welt, einen 14 Meter hohen Johannes Paul II., für einen Freizeitpark. Gondek kommentiert nicht, hat aber ein Auge für skurrile Details. So geraten viele Szenen, zum Beispiel der Lkw-Transport des riesigen Papstkopfs mit dem typischen milden Lächeln, schreiend komisch. Und bei der an eine Baumarkteröffnung erinnernden Einweihung der Statue wird „Najwyzszy“ endgültig zur köstlichen Realsatire.

Vom Verschwinden an sich

Einem allmählich aus den Kinos verschwindenden Material gilt Eva von Schweinitz’ Hingabe; mit ihrer Dokumentation „A Film Is A Film Is A Film“ liefert die New Yorkerin eine emotionale Liebeserklärung an den Zelluloidfilm. Aus dem Prozess des Verschwindens selbst macht der Niederländer Johan Rijpma in „Refreshment“ ein Formenexperiment: In Zeitraffer tanzt ein verdunstender, wiederholt aufgefüllter Wasserfleck seinem Ende entgegen.

Um die Verehrung einer großen amerikanischen Dichterin für einen großen französischen Dichter kreist „Three Stones for Jean Genet“ des aus Stuttgart stammenden Berliners Frieder Schlaich. Er begleitet Patti Smith ins marokkanische Larache, zum Grab von Jean Genet, dem die einstige Punk-Ikone drei Steine bringt, die sie seit über 30 Jahren bei sich trägt. Schlaichs in Schwarz-Weiß gedrehter Film lebt von der tiefen Stimme Smiths und der so lakonischen wie poetischen Sprache, in der sie von der Geschichte der Steine erzählt – ein kontemplatives Filmgedicht.

Lust auf mehr

Ob amüsant oder verstörend, kurzer Trash oder längere Dokumentation, experimentell oder klassisch erzählend – so vielgestaltig der Filmwinter im ersten Programm die Welt des Kurzfilms präsentiert, so viele Treffer in den jeweiligen Formen bietet er. Und macht damit Lust auf mehr.