Die Boa-Chefs in den Anfangsjahren.. Foto: privat

Die Boa und der Kings Club werden beide 40 Jahre alt und zählen damit zu den ältesten Discos in Deutschland. Wohl einzigartig: die beiden Betreiber begleiten ihre Läden von der ersten Stunde an.

Stuttgart - Laura und Sloggi kennen sich seit Jahren, stadtbekannt sind sie sowieso. Beim Latte macchiato lassen die Urgesteine der Clubszene vierzig Jahre Stuttgarter Disco-Geschichte aufleben.

Laura Halding-Hoppenheit, Betreiberin des Kings Clubs, Stadträtin und Schwulenmutti, renoviert in der Gymnasiumstraße gerade fürs Jubiläum. „Der Laden schaut aus wie Horror“, sagt Laura. Keine rollt bei ihrem Lieblingswort das R so wie sie. Im November 1976 hatte der Kings Club das erste Mal geöffnet, noch illegal, die Gäste kamen durch die Hintertür – am 9. Februar 1977 ging der Betrieb dann offiziell los.

Die Boa in der Tübinger Straße hatte am 13. Januar 1977 ihren Einstand. Gefeiert wird am Samstag also praktisch auf den Tag genau in der Alten Reithalle: wie seit zehn Jahren. Und wie in den Jahren zuvor sind die Karten seit Wochen weg. „Ich bin zurzeit der gefragteste Mann in der Stadt“, sagt Werner Find, ob seiner Feinripp-Aversion seit Jahr und Tag nur als Sloggi bekannt. Auch beim 40. Geburtstag werden die Rituale dieselben sein, inklusive Eistorte um Mitternacht. Die Frage, ob VIPs kommen, kontert Sloggi: „Wer ist denn prominent?“ Laura wird auf den 40. Geburtstag (wie schon auf den 35.) im Großen Sitzungssaal des Rathauses anstoßen, danach ist Party im Club. Für sie ist der erste Teil, der politische, wichtiger als der zweite: „Wir wollen ein Zeichen setzen, dass die Schwulen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.“ Ein bisschen prominente Unterstützung kann da aber nicht schaden. Angekündigt haben sich der Modedesigner Harald Glööckler, sein Partner Dieter Schroth ganz vielleicht, Promifriseur Udo Walz, die Travestiestars Lilo Wanders und Romy Haag.

Die Dinos leben noch

„Alles Freunde und Familie“, sagt Laura und klappt ihren Taschenspiegel auf. „Ich muss doch sehen, ob der neben mir besser aussieht als ich.“ Mit dem Ergebnis ist sie offenbar zufrieden. „Sloggi, wir sind beide Dinosaurier.“ – „Ja. Aber wir leben noch.“

Lauras Enkelin ist zehn, aber sie weiß schon jetzt, sie will den Kings Club übernehmen. „Oma, dann musst du tot sein. Zwei Chefinnen, das geht nicht“, so erzählt es Laura, die ihr Alter traditionell nicht verrät. Sie lacht schallend. Durchhalten bis dahin, das ist für sie keine Frage. Auch Sloggi, inzwischen 65, sagt: „Ich setze keinen Punkt.“ Aber seit einem Jahr hat er einen Geschäftspartner, Rainer Frankfurth, der früher das M 1 mitbetrieben hat, und konzentriert sich mehr auf Veranstaltungen.

Ohne sie geht es nicht, da sind sich beide einig – und niemand kann es ihnen recht machen. „Da laufsch in den Laden rein und die Lampe tut nicht, aber keiner sieht’s“, erklärt Sloggi, und Laura ergänzt: „Seid ihr blind?“ Neben „Warum schaut ihr mich an wie ein Leguan?“ ist das eine ihrer Lieblingsfragen ans Personal. Sie macht im Kings Club die Wäsche, bestellt die Getränke, bringt den Müll raus. Und seit fünf Jahren steht sie mit an der Tür. „Ich sehe, wenn der Horror kommt.“ Gut 600 Leute kenne sie mit Namen – auch wenn sie nur sporadisch vorbeischauen. „Heute kommt der 17-Jährige und sagt, mein Opa kennt dich.“

Seit 1989 ist Laura Chefin

Sloggi hat die Boa mit zwei Partnern, Jürgen Schumm und Werner Armbruster, eröffnet. Ihr Vorbild war der Club Sugar Shack in München. „Das war der Laden schlechthin. Die haben dreimal im Jahr komplett umgebaut.“ Auch die Boa bestach durch ihre Optik, die Rosettensitze und die blauen Taue, die von der Decke hingen (insgesamt fünf Kilometer!), waren einmalig. „Heute könnte das keiner mehr zahlen.“ Die Schlange etablierte sich als Treffpunkt fürs Establishment, die Oberstufe der Merz-Schule war überdurchschnittlich gut vertreten. „Wir haben eine knallharte Tür gemacht“, sagt Sloggi. Turnschuhe, eine verratzte Jeans, das ging gar nicht.

Den Kings Club eröffnete der Hotelier Thomas Bergmeister, Laura war im ersten Jahr Gast, dann Angestellte, 1989 schließlich Chefin. Hier stand weniger die Innenarchitektur im Vordergrund als die Notwendigkeit, den Schwulen einen geschützten Raum zu bieten. „Das ist unser Club, unser Zuhause, unsere Festung.“ In den ersten Jahren kamen nur Schwule, fast die Hälfte davon laut Laura verheiratet und in ständiger Angst, von der Sekretärin oder der Nachbarin erwischt zu werden. Heute sind etwa ein Drittel der Gäste hetero, Frauen sind längst gern gesehen.

Ja, das Publikum. „Früher haben sich alle schick angezogen“, schwärmt Laura. „Ich habe früher im Abendkleid aus Spitze gearbeitet. Heute würden alle sagen: ,Die hat nen Knall.‘“ Sloggi attestiert: „Die Paradiesvögel in der Stadt sterben aus: Es gibt vielleicht noch zwei, drei, Big Tom Yardley, Bernd Heidelbauer . . . Wir haben Mottopartys gemacht, da haben sich die Gäste verkleidet ohne Ende. Die Kunden sind früher nach Ibiza geflogen und kamen heim mit den neusten Party- und Modetrends.“

Heute, sagen beide, wäre das nicht mehr möglich

1977 war die Disco-Welle auf ihrem Höhepunkt. In den USA erschien der Tanzfilm „Saturday Night Fever“ mit – als wär’s ein Omen – dem Megahit der Bee Gees, „Stayin’ Alive“. In Manhattan eröffnete der Kultclub Studio 54. In der Boa und im Kings Club liefen Funk, Soul, aber immer auch Rock. Bis heute spielen beide Discos Crossover, Tanzbares aus der Hitparade. „Wer bei mir Techno auflegt“, sagt Laura, „dem dreh ich den Hals rum. Ich bin keine Drogen-Disco, sondern ein Gute-Laune-Laden.“ Bestimmte Musik mache die Gäste aggressiv, meint Sloggi. „Ich hatte auch mal das Ufo in Bernhausen. Techno hat mir die Disco kaputt gemacht.“

Sicher sind beide: „Uns würde es heute so nicht mehr geben.“ Die zunehmende Bürokratie, die steigenden Auflagen. . . In den besten – und härtesten Zeiten – hatte Laura vier Läden gleichzeitig. Am meisten vermisst sie neben dem Zum Zum den Pub in der Bolzstraße. Auch Sloggi bekommt bei der Erinnerung „an den Treffpunkt schlechthin“ feuchte Augen. Eine schöne Bar, die würde er gerne eröffnen, wie das Schumann’s in München oder zumindest wie die Maritim-Bar im Stuttgarter Westen aber mitten in der Stadt. Was ihn abhält, ist der innerfamiliäre Gegenwind.

Laura dagegen schaut schon nach einer Immobilie und ist sich sicher: „Das mach’ ich noch, ein exklusives Café, abends mit Livemusik vom Piano, wo sich ein Mensch im Anzug nicht wie Falschgeld fühlt.“

Mitten im Wortschwall dreht sie sich zu ihrem Nebenmann: „Komm. Machen wir zusammen ein Lokal auf. Wir stehen schließlich unter Denkmalschutz.“