Vincent Klink in der Serie „Stuttgarter Charakterköpfe“ Foto: Wilhelm Betz

Typen mit Ecken und Kanten: Der Fotograf Wilhelm Betz stellt im Blauen Haus in Böblingen seine „Stuttgarter Charakterköpfe“ aus, die im Herbst als Buch im Silberburg-Verlag erscheinen.

Stuttgart - Niemals, sagt Vincent Klink, hätte er gedacht, „dass mein Mostkopf mal zum Charakterkopf mutieren würde“. So viel Bescheidenheit, verehrter Herr Küchenmeister, muss nicht sein. Most stellt man her, indem man vergorene Äpfel zerstampft. Der Mostkopf hat demnach Brei im Hirn. Aber ein Dummkopf ist der Patron der Wielandshöhe gewiss nicht.

In der Küche ist er ein kreativer Kopf, ja zuweilen ein Sturkopf, was ihm auch als Autor, Blogger und Verleger kulinarischer Literatur zugutekommt. Dieser Held am Herd marschiert niemals in der Herde mit.

Klink ist einer von 56 Stuttgarter Charakterköpfen, die der Fotograf Wilhelm Betz in Schwarz-Weiß auf reduzierte Art und mit starken Kontrasten abbildet. Die ersten Porträts seiner Serie sind bei der Vernissage im Blauen Haus in Böblingen gefeiert worden. Sie machen Appetit auf mehr. Etliche, deren Fotos an der Wand hängen, waren leibhaftig anwesend.

Wenn es nicht gerade um die Wahl zur Miss Germany geht, sagt man gern: Das Aussehen ist nicht so wichtig – es kommt auf den Charakter an! Bei niemandem klebt ein Etikett auf der Stirn, das den Charakter eines Menschen offenbart. Mit technischer Brillanz machen die Aufnahmen von Betz unretuschiert Besonderheiten von starken Persönlichkeiten sichtbar. „Pathetisch ausgedrückt“, lobte Martina Wörz, Dozentin der Akademie Deutsche Pop, in ihrer Rede, würden die Porträts „die Seele erfassen und abbilden“.

Mit 60 Jahren hat der Fotograf sein Studium begonnen

Stuttgart hat ein buntes Seelenleben. Seit über einem Jahr bittet Betz Künstler wie Kreative, Multiplikatoren wie Musiker vor seine Kamera. Viele von ihnen geben unserer Stadt ein Profil. Sie machen diese Stadt unverwechselbar, prägen sie vielleicht sogar mit. Mit einem Ikea-Hocker, auf den sich alle Models setzen durften, ist er vom Landesbischof Frank Otfried July bis zu Lutz Schelhorn, dem Präsidenten der Hells Angels, gezogen, vom Jazzmusiker Herbert Joos bis zum Ballett-Star Eric Gauthier.

Als Student der Fotografie hatte Betz viele prominente Stuttgarter per E-Mail zum Shooting eingeladen. Als sie zum vereinbarten Termin ins Atelier der Akademie kamen, glaubte manch einer, der Professor begrüßt sie. Doch es war der Student, 61 Jahre alt. Nach 40 Jahren bei IBM nutzt Betz die Alterszeit, um sein Hobby, die Fotografie, zu perfektionieren. Mit jugendlicher Begeisterung hat er seine künstlerische Seite entdeckt.

Warum sind seine Charakterköpfe nur männlich? Diese Frage hört er oft. Hat er was gegen Frauen? In einer zweiten Fotoserie will er Frauen porträtieren – in einem sanfteren Licht. Hart und unverblümt hat er die Männer in Szene gesetzt, also mit Furchen und Falten. So viel Realität will er Frauen nicht zumuten.

Comedian Michael Schulig ging als erster weg

Bei der Vernissage im Blauen Haus war’s eine Frau, die den ersten Charakterkopf gekauft hat. Ihre Wahl fiel auf das Foto des Comedian Michael Schulig.

An diesem Abend hörte Martin Klaus, Programmleiter des Silberburg Verlags, viel Lob für die Fotos und konnte sicher sein, im Lektorenteam richtig entschieden zu haben: Im Herbst erscheinen in seinem Haus die „Stuttgarter Charakterköpfe“ als hochwertiger Bildband.

Jeder der Porträtierten darf sich darin etwas für Stuttgart wünschen. Klink, der mehr Charakter- als Mostkopf ist, sagt es klipp und klar: „50 Prozent der Investoren-Brutalarchitektur gehört abgerissen.“ Der Schriftsteller Heinrich Steinfest vergleicht den Charakter Stuttgarts mit einem Topf, in dem eine Suppe vor sich hin köchelt. „Gerüche zwischen Größenwahn und Selbstmitleid“ nimmt er wahr – aber auch Gerüche, die er als „erregend lieblich“ bezeichnen mag.

Das Buch könnte eine anregende, nicht immer liebliche Mischung aus Charakter, scharfer Würze und Rückgrat werden.