Blick auf den Handelssaal der Börse Stuttgart Foto: dpa

Sang- und klanglos beerdigt die Stuttgarter Börse ihren Markt für Mittelstandsanleihen. Das Angebot zielte auch auf Privatanleger. Diese haben nach zahlreichen Ausfällen gelernt: Was sicher und solide klingt, ist in vielen Fällen hochriskant.

Stuttgart - Fünf Jahre machen einen großen Unterschied. Als im Mai 2010 der Chef der Börse Stuttgart, Christoph Lammersdorf, den neuen Markt für Mittelstandsanleihen – Bond-M – vorstellte, sprühte er vor Zuversicht: „Wir sind mit diesem Segment europaweit Vorreiter.“ Die Börse Stuttgart sei sehr stolz darauf, die Dienstleistung für Unternehmen und Privatanleger entwickelt zu haben.

Jetzt vollzieht der Vorreiter die Kehrtwende: „Wir beobachten, dass der Markt für Anleihen mittelständischer Unternehmen ausgetrocknet ist“, so die Einschätzung der Börse. Lammersdorf hat das in einem Zeitungsinterview noch griffiger formuliert: „Der Markt ist tot.“

Bond-M war speziell für kleinere und mittlere Unternehmen gedacht. Das neue Handelssegment sollte ihnen die Möglichkeit bieten, sich Fremdkapital über die Börse zu beschaffen. Die Mittelstandsanleihen sollten aber auch ein gutes Anlageprodukt für Privatanleger sein, die „eine Rendite mit hohem Sicherheitsstandard“ erzielen wollten, wie die Börse seinerzeit warb.

Kursabstürze, ausfallende Zinszahlungen, Insolvenzen

Doch viele Privatanleger haben sich die Finger mit den vermeintlich sicheren Mittelstandsanleihen verbrannt. Von wegen sicher: Kursabstürze, ausfallende Zinszahlungen, Insolvenzen haben die Anleger geschockt. Nicht nur in Stuttgart, auch an den Börsen Frankfurt, Düsseldorf und München, die ebenfalls Mittelstandsanleihen handeln.

Allein in Stuttgart sind seit 2010 neun Anleihen von acht Unternehmen aus Bond-M ausgeschieden, die sich in einem Sanierungsprozess befinden. Darunter die Papiere des Windpark-Betreibers Windreich, des Solarmodulherstellers Solarwatt und des Maschinenbauers Rena. Bundesweit sind nach Angaben der Ratingagentur Scope seit 2010 bisher 29 Anleihen ausgefallen.

Weniger erfahrene Anleger haben sich von den hohen Zinsen, die viele Mittelständler zahlen, blenden lassen. „Wir leben im Zeitalter der Minuszinsen, da sollte man sich schon die Frage stellen, warum ein Unternehmen acht Prozent Zinsen zahlt“, sagt Rolf Kazmaier, Geschäftsführer der SVA Vermögensverwaltung Stuttgart. So eine Schuldverschreibung – und genau das ist eine Anleihe – sei nicht wie ein Sparbuch anzusehen. „Wenn ein Dax-Unternehmen mit einer hohen Bonität für eine Anleihe 1,5 oder 2 Prozent Zinsen zahlt und ein kleiner Mittelständler für eine Anleihe 8 Prozent zahlt, dann klafft da eine Kluft, die für Privatanleger zu riskant ist.“

Falsch eingeschätzt haben viele auch, wie schwer es mitunter sein kann, so eine börsengehandelte Anleihe wieder loszuschlagen. „Viele Privatanleger sind davon ausgegangen, dass sie Mittelstandsanleihen genauso wie Bundesanleihen oder Aktien handeln können“, sagt Roland Hirschmüller, Chefhändler der Baaderbank an der Börse Stuttgart. „Es war ihnen nicht klar, dass an manchen Tagen niemand so eine Anleihe kaufen möchte, dass der Markt völlig illiquide sein kann.“ Und dass aufgrund der sehr geringen Umsätze der Kurs sehr stark schwankt.

„Nicht überall, wo Mittelstand drüber steht, ist auch Mittelstand drin“

Nicht nur die Anleger, auch die Emittenten, also die Unternehmen, die eine Anleihe herausgeben, meiden inzwischen den Markt. „Dass Unternehmensinsolvenzen vorkommen, ist normal, aber es sind in den vergangenen Jahren zu viele gewesen“, räumt Dirk Elberskirch, Chef der Börse Düsseldorf, ein. Unter dem Etikett Mittelstand seien auch riskante Hochzinsanleihen angetreten. „Nicht überall, wo Mittelstand drüber steht, ist auch Mittelstand drin“, so der Börsenchef. Der Begriff Mittelstandsanleihe sei inzwischen eher negativ besetzt, weshalb er lieber von Anleihen für kleine und mittlere Unternehmen spricht.

Gleichwohl nennt Elberskirch die Aussagen seines Stuttgarter Kollegen Lammersdorf „hanebüchen“ und hält dagegen: „Der Markt ist nicht tot. Es gibt unverändert ein Interesse von Unternehmen und Investoren für Anleihen von kleinen und mittleren Unternehmen.“ Der Düsseldorfer Börsenchef sieht zwar, dass derzeit bonitätsstarke Mittelständler eine Alternative haben. Sie können Geld bei Banken zu attraktiven Konditionen bekommen.

Doch das Interesse werde wieder zurückkommen, ist er überzeugt. Als Beispiel führt er die neue Anleihe des Automobilzulieferers ZWL Zahnradwerk Leipzig an, die jetzt an den Frankfurter Markt gekommen ist. Elberskirch ist überzeugt, dass am Anleihemarkt für kleine und mittlere Unternehmen nicht nur die schlechten Schuldner übrig bleiben würden, die bei Banken kein Geld mehr bekommen.

Roland Hirschmüller von der Baaderbank dagegen verteidigt Lammersdorf: „Herr Lammersdorf hat nur unverblümt ausgesprochen, dass es im Markt für Mittelstandsanleihen seit geraumer Zeit keine Neuemissionen mehr gegeben hat. Das ist die Wahrheit.“ In der Tat gab es 2014 keine einzige Neuemission im Stuttgarter Mittelstandssegment Bond-M. „Das Kind beim Namen zu nennen ist fair“, so Hirschmüller.

Als das Segment 2010 aus der Taufe gehoben wurde, gab es einen regen Handel. Dann seien jedoch viele schlechte Schuldner an den Markt gekommen. Durch die zahlreichen Ausfälle, die es bei Mittelstandsanleihen gab, sei „das gut gemeinte Konzept leider verbrannt worden“.

Die Stuttgarter Börse sieht keine Zukunft mehr im Mittelstandssegment. Sie versichert zwar, „Bond-M bleibt weiter bestehen“, und geltende Verträge mit den Marktteilnehmern würden eingehalten. Es sei aber aktuell nicht absehbar, „ob und wann es weitere Emissionen in Bond-M geben wird“.

Für Privatanleger hat Vermögensverwalter Kazmaier einen Tipp parat: „Bevor ich mir eine Mittelstandanleihe kaufe, die mit 5, 6, 7 oder 8 Prozent verzinst ist, und dann nicht ruhig schlafen kann, sollte ich besser eine Unternehmensanleihe mit 2,5 Prozent kaufen. Dann kann ich ruhig schlafen.“