Die beiden Mädchen Hanna (links) und Irmgard Schmidt, vermutlich in Tsingtau oder Shanghai Foto:  

Der Großvater des Stuttgarter Richters Arnulf Eckert baute einst die Schantung-Bahn, ein ehrgeiziges Projekt der deutschen Kolonisten in Tsingtau.

Stuttgart - Ein Schrank voller Chinoiserien und einen Koffer voll Erinnerungen an die einstige deutsche Kolonie Tsingtau in Ostchina besitzt der ehemalige Finanzrichter Arnulf Eckert in Stuttgart. Darin ist ein anrührendes Bild eines kleinen blonden Mädchens, das mit seinem Schwesterchen vor einem Bürgerhaus mit einem Dreirad spielt. Eine Szene, die überall im Deutschen Reich hätte aufgenommen werden können. Doch dieses Bürgerhaus lag am chinesischen Meer und das Mädchen, seine Mutter Hanna Schmidt, trug den zweiten Namen Mei Hua, gleich „Pflaumenblüte“. Sie hat ihn immer mit Stolz getragen bis an ihr Lebensende, die Tochter von Karl Hugo Schmidt, dem Erbauer der Schantung-Eisenbahn zwischen Tsingtau und Jinnan.

Unsere Reportage über die Marine-Kameradschaft Tsingtau war es, die Arnulf Eckert veranlasste, seine Fotoalben wieder zur Hand zu nehmen, einen neuen Blick auf den steinernen Drachen, auf die Statue des Kriegers, auf die Teekanne mit dem Schriftzeichen für Glück, auf Jadefiguren und ein Schmuckkästchen aus Messing zu nehmen, die er von seinem Großvater Karl Hugo Schmidt geerbt hat. Arnulf Eckert hat etliche wissenschaftliche Artikel gesammelt über die deutsche Kolonie, die ein anderes Bild geben, als etwa die Einträge in Wikipedia über die Vorgänge von damals.

Der Urgroßvater war ein bedeutender Chemiker

Sein Urgroßvater Ottmar Schmidt war ein bedeutender Chemiker, sein Großvater Karl Hugo Schmidt (1864–1944) wurde ein Kaufmann. Um 1890 lebte er in Shanghai und handelte, was er genau tat, ist allerdings nicht überliefert. Es gibt einen einzigen in Current-Schrift geschriebenen Brief von 1890, in dem er gelinde gesagt, sein Befremden gegenüber der für ihn völlig abstrusen chinesischen Kultur ausdrückt und Grüße in die Heimat sendet. Der Familienüberlieferung zufolge stach er als Dolmetscher mit der Kriegsflotte von Konteradmiral Otto von Diedrichs 1897 in See, der die Bucht von Kiautschou besetzte. Die Deutschen setzten sich in dem Fischerdorf Tsingtau fest, das sie von den Chinesen pachteten und als Marine- und Handelsstützpunkt nutzten. Sie wollten das Hinterland erschließen, suchten nach Bodenschätzen und wollten dafür eine Eisenbahn bauen. Karl Hugo Schmidt spielte darin eine Schlüsselrolle.

Er war von 1898 an in Diensten der Firma Carlowitz und Co, die 1846 in Kanton von Leipziger Kaufleuten gegründet wurde und als die älteste und angesehenste deutsche China-Agentur galt. Carlowitz wollte mit der Schantung-Eisenbahn und der Schantung-Bergbau-Gesellschaft groß ins Geschäft einsteigen. Schmidt kaufte einen Korridor von Land für das Gleisbett, zahlte gute Preise, begann auch schon Schächte zu bauen, um nach Kohle zu spüren. Das war den Chinesen dann doch zu übereifrig und Schmidt geriet in harten Konflikt mit dem chinesischen Gouverneur. Der Kaiser von China beendete den Streit, indem er den Gouverneur abberief, weil er keine Scherereien mit den Deutschen wollte.

1904 wurde die Schantung-Bahn eröffnet, aber der Ertrag aus dem Kohlebergbau blieb weit hinter den hochgesteckten Zielen von Carlowitz zurück. Um das Jahr 1900 heiratete Karl Hugo Schmidt. Seine Frau Elisabeth, geborene Roloff, (1877–1949) bekam drei Kinder. Die mittlere Tochter Hanna, die Pflaumenblüte, kam 1907 zur Welt.

In Tsingtau gab es eine Hohenzollernstraße

Die Deutschen hatten sich in der Kolonie eingerichtet. Es gab eine Hohenzollernstraße und eine Hohenlohe-Straße, ein japanisches Foto-Studio und natürlich die Germania Brauerei, die heute unter dem Namen Tsingtao Bier zu den größten Brauereien der Welt zählt. Im Reiseführer von Tsingtau aus dem Jahr 1904 finden sich die Geschäftsanzeigen und ein Stadtplan. Es gab sogar ein Forsthaus und einen Förster.

Doch nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war damit Schluss. 58 000 britische und verbündete japanische Soldaten belagerten die Kolonie, die sich mit 6000 Mann drei Monate lang vom 2. September bis zum 7. November 1914 tapfer verteidigte, bevor die Soldaten den Gang in die Kriegsgefangenschaft antreten mussten.

Wie die Familie Schmidt der Belagerung entkam, ist nicht bekannt. Sie floh 1914/1915 nach Shanghai. Im Fotoalbum von Arnulf Eckert sieht man die Bilder aus jener Zeit. Die Schmidts machten Ausflüge, besuchten den heiligen Berg Huang Shan, reisten nach Mukden. Die Familie traf Freunde, vertrieb sich die Zeit mit Tennis spielen oder reiten, wie das Familienalbum zeigt. Doch es war keine Idylle. Die Familie sollte 1917 interniert werden, aber irgendwie schafften sie es, das zu verhindern.

1919 sollte die Familie nach Australien deportiert werden, aber wiederum konnten die Schmidts fliehen. Mit dem Schiff reiste die Familie von Shanghai nach Marseille. Für die Kinder, die ein luxuriöses Leben mit Hausangestellten gewohnt waren, begann eine harte, entbehrungsreiche Zeit. Die Mutter Mei Hua erinnerte sich daran, dass die Hafenarbeiter der jungen Familie Milch und Brot brachten, eine Geste der Nächstenliebe selbst gegenüber dem ehemaligen Feind im Ersten Weltkrieg, die der Mutter unvergesslich blieb. Über Rotterdam ging es nach Berlin.

Hanna Schmidt, die Pflaumenblüte, wurde eine der ersten Optikerinnen Deutschlands. Im Gesellenbrief ist als Geburtsort lapidar „China“ eingegeben. Den Vater zog es zu seiner Schwester nach Stuttgart und die Familie siedelte am Neckarstrand. Hanna Schmidt bekam fünf Kinder, und starb im Jahr 1981. Ihr Sohn Arnulf Eckert hat das Familienarchiv übernommen. Der Traum des Kaisers, Deutschland einen Platz an der Sonne zu verschaffen, war gründlich ausgeträumt. Doch die Gleise der Schantung-Eisenbahn zwischen von Tsingtau und Jinnan liegen noch immer. Das Werk, das Karl Hugo Schmidt geschaffen hat, dauert fort.