Wo einst im Jahr 1955 noch Ackerflächen waren, befindet sich heute das Gewerbegebiet Tränke. Die Bauern waren freilich nicht erfreut darüber. Foto: Stadtmessungsamt/Plavec

Dort, wo heute etliche Firmen und Betriebe im Gebiet Tränke in Stuttgart-Degerloch wirtschaften, war früher Natur pur. In unserer Luftbildserie „Stuttgart von oben“ erinnern sich Menschen an damals.

Degerloch - Horst Straif erinnert sich noch gut daran, wie das heutige Gewerbegebiet Tränke in Degerloch früher einmal aussah. Sein Bauernhof war schon an der Albstraße ansässig, lange bevor das Gewerbegebiet geplant wurde. „1955 waren das noch alles Äcker, Wiesen und Baumstücke. Ein paar kleinere Gärten waren auch rundherum“, sagt der 79-Jährige.

Maler Braun gehörte zu den ersten Betrieben

Als das Gewerbegebiet 1964 zum Bauerwartungsland erklärt worden ist, ließ die Bebauung nicht mehr lange auf sich warten. Rund drei Jahre später wurden die ersten Häuser an der Julius-Hölder-Straße errichtet. „Wir sind 1968 hier eingezogen, da waren hier sonst nur die Schlosserei Göller und Hochland Kaffee“, sagt Ute Braun. Ihr Mann Klaus Wilhelm Braun gehörte mit seinem Malerbetrieb K.W. Braun zu den ersten Betrieben in dem noch jungen Gewerbegebiet. „Hier waren zehn Jahre lang nur Gärten drumherum und eben unsere drei Häuser, sonst nichts“, sagt die 82-Jährige.

Durch die Bebauung hat der landwirtschaftliche Betrieb der Familie Straif einige Äcker verloren. „Die Äcker waren alle in städtischem Besitz, wir haben sie nur gepachtet“, sagt Straif. In dem Pachtvertrag mit der Stadt wurde festgehalten, dass es im Falle einer Beendigung des Vertragsverhältnisses keinen Ersatz geben sollte. Wohl oder übel musste die Familie Straif Äcker abgeben. „Wenn der Gemeinderat beschließt, dass hier gebaut wird, kann man nichts machen“, sagt Straif. „Bei mir war die Stimmung da natürlich nicht so gut, die Gewerbetreibenden haben sich aber über die Erweiterung gefreut.“

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Nach und nach kamen immer mehr Betriebe im Gewerbegebiet Tränke dazu. „Das Haus direkt neben uns wurde als eines der letzten vor etwa acht Jahren fertig gebaut“, sagt Braun. Die Malerei K.W. Braun gab es noch 24 Jahre lang in der Tränke. Dann musste Braun seine Firma aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Viele der anderen Betriebe wurden in der Zwischenzeit von den jüngeren Generationen übernommen. „Das sind eigentlich alles Familienbetriebe hier in der Gegend“, sagt Braun. So auch die Schlosserei Göller. Die Familie Göller kam 1968 von Möhringen an die Julius-Hölder-Straße im Gewerbegebiet Tränke. Seit zwei Jahren wird sie von der vierten Generation der Familie weiterbetrieben.

Es gab sogar eine Kirschplantage an der Epplestraße

„Früher war es hier natürlich viel schöner“, sagt Ute Braun, die sich noch gut an die Anfangszeiten im Gewerbegebiet erinnern kann. „Es gab sogar eine Kirschplantage an der Epplestraße. Mittlerweile wurde das aber verkauft, und dort stehen nun Wohnungen“, sagt Braun. Auch wenn es den Betrieb ihres Mannes mittlerweile schon viele Jahre nicht mehr gibt, wohnt Braun weiterhin in der Wohnung über dem ehemaligen Malereibetrieb, der nun vermietet ist. „Es gibt schönere Häuser und auch schönere Gegenden, aber bei uns hat sich das eben damals beruflich so ergeben, und deswegen ist das auch in Ordnung so“, sagt Braun.

Familie Hunzelmann, Gründer der Firma Hochland Kaffee, kam in den 60er Jahren in das Gebäude an der Julius-Hölder-Straße. Nach einiger Zeit hat die Firma noch andere Gebäude aufgekauft. Birgit Krauße arbeitet seit 20 Jahren als Assistentin der Geschäftsführung bei Hochland Kaffee. „Die Tränke war hier ja früher auch Wiese und Weide und eben tatsächlich auch Tränke“, sagt Krauße. „Ich weiß, dass es unter unserem Grundstück noch ein Wasserreservoir gibt.“

Vor allem die Mischung innerhalb des Gewerbegebietes habe sich in den vergangenen Jahren verändert. So seien ein Italiener und ein Gemüseladen dazu gekommen, was für die Beschäftigten gut sei. Auch der morgendliche Weg zur Arbeit ist für Krauße schön, wenn sie an den Pferden des Hofs von Bauer Straif vorbeifährt. „Ich finde es echt super, dass es so etwas wie den Hof von Bauer Straif am Rande des Gebietes noch gibt und nicht alles plattgemacht wurde“, sagt Krauße.

Pferdegucken in der Mittagspause

Dass sich die Beschäftigten im Gewerbegebiet Tränke an den Pferden auf seiner Koppel erfreuen, ist für Horst Straif keine Neuigkeit. „Es ist klar, dass sie sich da in ihrer Mittagspause drüber freuen, wenn die Pferde hier herumlaufen und sie sie beobachten können“, sagt Straif. Die Pferde gehören zur Pferdepension, die Straifs Tochter auf dem Hof ins Leben gerufen hat.

Für die Beschäftigten ist der nahe gelegene Hof mit der Koppel also eine Freude. Für den Degerlocher Landwirt Straif hingegen ist die Lage nicht nur von Vorteil: „Hier ist immer so viel los, die ganze Chemnitzer Straße ist von Berufstätigen vollgeparkt“, sagt Straif. Die Parkplätze würden bei Weitem nicht ausreichen. Darüber hinaus gebe es wegen der zentralen Lage ein großes Problem mit Müll; zum Beispiel finde er immer wieder Getränkedosen auf den Koppeln. „Das sind eben Nachteile, mit denen man hier notgedrungen leben muss“, sagt Straif. „An dem Gewerbegebiet kann ich eigentlich nichts befürworten.“

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