Mobilfunkanlagen wie hier auf dem Breuninger-Hochhaus lösen bei manchem Bürger Unbehagen aus. Die Stadt soll die Zahl der Anlagen deshalb minimieren. Foto: Leif Piechowski

Jeder Stuttgarter hat statistisch gesehen ein Handy. Doch den Mast auf dem Nachbarhaus will niemand haben. Bürgerinitiativen fordern eine Minimierung der Strahlung durch Mobilfunkanlagen. Die Stadt hält ein Vorsorgekonzept für kaum umsetzbar, vielmehr sei der Bund gefordert.

Stuttgart - Technikfeindlichkeit – das war einer der Vorwürfe, den sich Kirchenpfleger Hermann Beck in den vergangenen Wochen anhören musste. In Birkach hat die Evangelische Kirche den ersten von sieben Mobilfunkmasten auf gemeindeeigenen Gebäuden entfernen lassen und damit den Unmut einiger Bürger in Schönberg heraufbeschworen. Diese sitzen jetzt in einem Funkloch. Dabei habe der Betreiber Telekom lange genug Zeit gehabt, einen Ersatzstandort zu finden, so Beck.

Spätestens wenn der letzte Vertrag mit Mobilfunkbetreibern im Jahr 2020 ausläuft, sollen alle Antennen auf kirchlichen Gebäuden verschwunden sein. Dann herrscht auch Funkstille in der Bismarckstraße im Stuttgarter Westen. Dort steht der am meisten umstrittene Mast. Ein Gutachter hatte hier im Jahr 2012 eine deutlich erhöhte Strahlung festgestellt – bis zu 5,17 Volt pro Meter anstatt der vereinbarten drei Volt pro Meter. Nach wie vor will die Kirche hier vorzeitig aus dem Vertrag, beißt aber auf Granit. Man nehme die Sorgen der Bürger ernst und besinne sich auf die Kernaufgaben, erläutert Beck den Sinneswandel und den Verzicht auf 10.000 Euro pro Anlage und Jahr. Auch die Katholische Kirche, die in Stuttgart ebenfalls sieben Antennen auf Gebäuden hat, will diese in Zukunft abbauen.

Der Schritt der Kirchen hat erneut eine Diskussion über die Schädlichkeit von Elektrosmog durch Mobilfunkanlagen entfacht. Passend dazu trafen sich am Donnerstagabend im Stuttgarter Rathaus Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD), die Stuttgarter SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt sowie Peter Hensinger von der Verbraucherorganisation Diagnose Funk, um mit Bürgern über dieses Thema zu debattieren.

Stuttgart als Vorreiter?

Peter Hensinger, der auch die Interessen verschiedener Bürgerinitiativen in Stuttgart vertritt, fordert von der Stadt ein Mobilfunk-Vorsorgekonzept zur Eindämmung der „unkontrolliert zunehmenden Strahlung“. Zuvor solle ein Kataster über die von Sendeanlagen ausgehende Strahlenbelastung in der Stadt erstellt werden. Außerdem solle in einem Stadtbezirk ein Modellprojekt angestoßen werden, das eine „Strahlenminimierung durch Vergleichmäßigung“ zum Ziel habe. Sprich: Der Wildwuchs von Mobilfunkmasten soll durch eine geplante Standortpolitik mit kleineren Zellen in regelmäßigeren Abständen ersetzt werden. Die Richtwerte sollten sich dabei an denjenigen orientieren, die in anderen europäischen Ländern erprobt werden. „Die Stadt Stuttgart kann hier Vorreiter sein“, sagt Hensinger.

Bau- und Umweltbürgermeister Matthias Hahn warnt jedoch vor allzu viel Euphorie. „Wir haben keine wirkliche Steuerungsmöglichkeit“, sagt er. Bisher bedürfen Mobilfunkmasten nur dann einer Genehmigung, wenn sie höher als zehn Meter sind, auf denkmalgeschützten Gebäuden oder in reinen Wohngebieten installiert werden. Ansonsten schließen die Hausbesitzer die Verträge direkt mit dem Mobilfunkbetreiber.

Ein Alleingang der Stadt in Sachen Vorsorge bedeute daher einen erheblichen Aufwand. „Ich bin gerne bereit, darüber zu reden, wenn der Gemeinderat die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt“, so Hahn. Ein entsprechender Vorstoß der Grünen war in den vergangenen Haushaltsberatungen durchgefallen. 40.000 Euro hätten dafür bereitgestellt werden sollen. Das Problem laut Hahn: „Wenn die Mobilfunkbetreiber nicht im Boot sind, ist das kaum durchsetzbar.“ Außerdem würden neue Standorte wiederum heftig debattiert. Auch andere Großstädte wie München hätten bereits Vorsorgekonzepte geprüft, diese aber wieder verworfen. Stattdessen, so Hahn, müsse die Initiative vom Bund ausgehen.

Vorsorgeprinzip gilt „so wenig wie möglich“

Der Bundestag bereitet derzeit zwar eine neue Verordnung über elektromagnetische Felder vor, deren genaue Ausgestaltung ist jedoch noch unklar. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt könnte sich eine Regelung nach Schweizer Vorbild vorstellen. Dort senden die Mobilfunkantennen zwar ähnliche Strahlenmengen aus wie in Deutschland. Diese müssen jedoch so aufgestellt werden, dass in schützenswerten Räumen wie Kindergärten oder Schlafzimmern nur ein Bruchteil des Elektrosmogs ankommt.

Da noch nicht klar sei, wie sich die Strahlung durch Mobilfunkantennen langfristig auf die Gesundheit der Menschen auswirke, gelte das Vorsorgeprinzip „so wenig wie möglich“. Auch Vogt sieht bei einem Modellprojekt etwa mit kleineren Zellen und geringerer Sendeleistung das Problem der Umsetzung. „In einer Kleinstadt geht das vielleicht noch, aber in einer Stadt wie Stuttgart erfordert das einen riesigen Aufwand.“

Peter Hensinger von der Bürgerinitiative Mobilfunk West hofft, dass mit dem neuen OB Fritz Kuhn (Grüne) das Thema Mobilfunkvorsorge an Fahrt gewinnt. Er ist überzeugt: „Es geht auch anders.“