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Verwaltung contra Gemeinderat, sachkundige Bürger contra Verwaltung und Gemeinderat.

Stuttgart - Die sachkundigen Bürger im Kulturausschuss sind wütend: Da wurde mit der Reihe „Kultur im Dialog“ ein genreübergreifendes Netzwerk initiiert, das Leitlinien für die künftige Kulturförderung in der Stadt entwickeln soll. Jetzt droht dieses an der Finanzierung zu scheitern.

Um die Kulturszene der Stadt Stuttgart besser ins Rampenlicht zu stellen, haben seit November 2009 zwei Kongresse stattgefunden, wurden mehrere Arbeitsgruppen zu den verschiedensten Themen gegründet. Ebenso wurde eine Steuerungsgruppe eingerichtet, bestehend aus Mitgliedern des Gemeinderats, der Verwaltung, den sachkundigen Bürgern und der Bürgerstiftung. An die 200 Kulturschaffende der Stadt beteiligen sich an diesem Prozess. In einem weiteren Schritt sollen jetzt wichtige Entscheidungsträger der städtischen Kulturszene in den Dialog miteinbezogen werden, um im Sommer dieses Jahres in einem öffentlichen Kongress die erreichten Ergebnisse vorzustellen. Die Leitlinien selbst sollen im ersten Quartal 2013 dem Gemeinderat und dem Oberbürgermeister übergeben werden. Dies droht nun an der Finanzierung zu scheitern. Es geht um etwa 70 000 Euro, verteilt auf zwei Jahre.

„Kultur im Dialog“

Begonnen hat dies mit der „Artparade“ im November 2009. Der „Loveparade“ entlehnt, machten Kulturschaffende aller Genres in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion auf sich aufmerksam. Hintergrund waren geplante massive Einsparungen nicht nur im Kulturbereich im Konsolidierungshaushalt 2010 /2011. Die Initiative dazu kam von den sachkundigen Bürgern im Ausschuss für Kultur und Medien. Hier entstand die Idee, nicht nur punktuell auf sich aufmerksam zu machen, sondern grundsätzlich dem Gemeinderat und der Stadtverwaltung Entscheidungsrichtlinien mit auf den Weg zu geben, wie die Kultureinrichtungen künftig optimaler gefördert werden können. Zu einem ersten Kongress im Juli 2010 in der Kunstakademie waren auch Experten aus anderen Städten eingeladen, die derartiges bereits in die Wege geleitet hatten. Ein weiterer Kongress fand im Juli 2011 im Rathaus statt. Hier wurden Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen wie „Diversifikation und Vielfalt“ oder „Kunst im öffentlichen Raum“ gegründet.

Der Gemeinderat

Mit der letzten Gemeinderatswahl hat sich die Stimmmehrheit zugunsten der Grünen und der SPD verschoben. Seitdem gibt es zwei verschiedene Wege in der Kulturpolitik. Die CDU setzt darauf, herausragende Projekte betont zu fördern, die ihre Alleinstellung aus den befristeten Mitteln der Projektförderung herausgearbeitet haben. Grüne und SPD befürworten eher eine Vergabe der Fördergelder in der Breite. Der fraktionsübergreifende Antrag von Grüne, CDU, SPD, freie Wähler und der FDP über die Verteilung von zusätzlichen 400 000 Euro Fördermittel im Doppelhaushalt 2012/2013 entspricht dem Bemühen, beiden Ausrichtungen gerecht zu werden: Bewährte Einrichtungen wie der Jazzclub Bix, das Figurentheater Fitz, Musik der Jahrhunderte oder das Forum jüdischer Bildung und Kultur bekommen einen höheren Zuschuss, andere wie das Theater am Olgaeck, der Jazzclub Kiste oder das Ensemble Ascolta können sich künftig über eine Dauerförderung freuen. Die Entscheidungen werden aber von den sachkundigen Bürgern in Frage gestellt.

Sachkundige Bürger

Um die Kulturschaffenden in die Entscheidungsprozesse frühzeitig einzubeziehen, hat der Ausschuss für Kultur und Medien vor vielen Jahren das Gremium der sachkundigen Bürger etabliert, die den Entscheidungsprozessen der Politiker ratgebend zur Seite stehen sollen, die aber kein abschließendes Stimmrecht haben. Dies führt immer wieder zu Verwerfungen, da die sachkundigen Bürger, überwiegend Vertreter von Kultureinrichtungen der Stadt, parteiübergreifend agieren und nicht den Fraktionsspielregeln unterliegen. Ein Dissens besteht auch jetzt: Die sachkundigen Bürger verlassen sich auf einen einstimmigen Gemeinderatsbeschluss vom 27. Januar 2011, in dem die Initiative, kulturelle Leitlinien im Dialog mit dem Gemeinderat, den Kulturschaffenden und den Einwohnern der Stadt zu entwickeln, „begrüßt und befürwortet“ wird. Nun aber müssen aber nun erleben, dass die Fraktionen außerstande sind, entsprechende Mittel bereitzustellen. Dies, obwohl sich alle kulturpolitisch interessierten Mitglieder quer durch alle Fraktionen für eine Fortsetzung von „Kultur im Dialog“ aussprechen.

Bürgerstiftung

Die Bürgerstiftung unter dem Dach der Breuninger-Stiftung ist eine Einrichtung, die im sozial-kulturellen und gesellschaftlichem Bereich Anschubfinanzierungen für Projekte leistet, die das Potenzial haben, sich danach eigenständig weiterzuentwickeln oder die andere Geldgeber finden. Diesen Leitlinien entsprechend hat die Bürgerstiftung den Anlauf von „Kultur im Dialog“ finanziert, erwartet jetzt aber für eine Fortsetzung ein finanzielles Mitengagement.

Wie geht es weiter?

Seit es „Kultur im Dialog“ gibt, sehen viele Kulturschaffende der Stadt, die auch dem Gremium der sachkundigen Bürger angehören, eine effektivere Möglichkeit ihres Engagements für die Kultur in der Stadt denn als nicht stimmberechtigte Berater für den Ausschuss für Kultur und Medien. Dabei sind Entscheidungshilfen dringend nötig: Großvorhaben wie die Sanierung des Staatstheater oder der anstehende Neubau der John-Cranko-Schule ziehen sich immer mehr hin und binden Aufmerksamkeit. Den kulturellen Alltag der Stadt prägen jedoch kleinere Einrichtungen, für die schon Kürzungen oder Erhöhungen im vierstelligen Bereich entscheidend sein können. Das Land geht mit gutem Beispiel voran: In enger Zusammenarbeit mit den freien Theatern hat es deren Fördermittel erhöht, um bessere Auftrittsmöglichkeiten zu erreichen. Auch der Verteilungsschlüssel für die soziokulturellen Zentren des Landes wurde angepasst.