Vermehrte Streifengänge sollen das Sicherheitsempfingen stärken. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Bezirksbeirat Mitte lässt sich über die Gefahren im Stuttgarter Stadtzentrum informieren. Allerdings zu ungünstiger Zeit. Die aktuelle Statistik liegt noch nicht vor.

S-Mitte - Statistik ist stets auch eine Frage der Interpretation. Fast 100 Prozent aller Verstöße gegen die Prostitutionsgesetze verortet die Polizei in der Stadtmitte. Angesichts dessen, dass sich 90 Prozent aller illegalen Rotlichtbetriebe auf andere Bezirke verteilen, dürfte die Ursache sein, dass die Sitte bevorzugt im Leonhardsviertel ermittelt. Dass Frauen vermehrt Belästigungen anzeigen, wird Folge des medialen Auftriebs seit der Silvesternacht in Köln sein. Die letzte von 44 Anzeigen zum Geschehen auf dem Schlossplatz ging bei der Stuttgarter Polizei am 18. Januar ein.

Alarmiert vor allem von den Straftaten zum Jahreswechsel, wollte der Bezirksbeirat ausführliche Auskunft über die Sicherheitslage im Zentrum. Die bekam er, von Volker Weinstock, dem Leiter des Reviers an der Wolframstraße. Allerdings fielen die Schlussfolgerungen nach dessen Auftritt unterschiedlich aus. „Wir haben uns alle gegenseitig auf die Schulter gehauen und gesagt: Es ist alles nicht so schlimm.“ So empfand es der Christdemokrat Christoph Goller. „Ich gehe beruhigt nach Hause, das subjektive Empfinden ist anders als die objektiven Zahlen“. So sagte es die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Ein Satz, der die Mehrheitsmeinung zusammenfasste.

Die Stadtmitte ist das kriminelle Zentrum Stuttgarts

Allerdings hatte Weinstock keine aktuellen Zahlen im Aktenkoffer. Die Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2015 ist noch nicht fertig, vor allem sind die Zahlen „noch nicht ausgewertet“, sagte der Revierleiter. Fest steht allerdings anhand alter Zahlen: Die Stadtmitte ist nicht nur das geografische Zentrum Stuttgarts, sie ist auch das kriminelle Zentrum Stuttgarts. Stand 2014 wurden 30 Prozent aller Straftaten der gesamten Stadt im Bezirk Mitte verübt. Auffällig sind insbesondere Sexualstraftaten und Raubüberfälle. Hier strebt die Statistik für die Mitte den 50 Prozent entgegen.

In Runden wie dem Bezirksbeirat gilt bei den Sicherheitsbehörden die Sprachregelung: Sorgen Sie sich nicht. Sie sind nicht betroffen. Und zwar altershalber. Ähnlich formulierte es auch Weinstock. Wer die 40 hinter sich gelassen hat, ist in den seltensten Fällen Opfer von Schlägern, Räubern oder Sexualstraftätern. Täter wie Opfer sind deutlich jünger, und die meisten Taten lassen sich im weitesten Sinne als Folge des Partybetriebs einordnen.

Auch Bildungsbürger werden angegangen oder angepöbelt

Ungeachtet dessen wird auch der Bildungsbürger mittleren Alters angegangen oder gar angepöbelt, von Bettlern, Obdachlosen, Alkohol- oder Drogensüchtigen, im Schlossgarten, in der Klettpassage, auf der Königstraße. Was die Polizei wahrnimmt und wogegen sie auch vorgeht. Diese Szene allerdings „können wir immer nur von A nach B und von B nach C vertreiben“, sagt Weinstock. Süchtige entziehen nicht, wenn sie sich an verborgenen Orten treffen, und Obdachlose finden keine Wohnung, wenn die Polizei sie wegschickt. Für diesen Teil der Statistik gilt: Die Gruppen mögen unangenehm sein, aber ihr Tun ist allenfalls eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat.

Mehr noch fühlt der Bildungsbürger mittleren Alters sich angegangen, selbst wenn er tatsächlich gar nicht angegangen wird – von Sinti und Roma, die im Schlossgarten lagern oder von Gruppen schwarz gekleideter Jugendlicher, die dort feiern. Aber erstere sind aus Polizeisicht harmlos, letztere „räumen nachher sogar wieder auf“, sagt Weinstock, „das tun nicht viele“. Ungeachtet dessen sei das sogenannte subjektive Sicherheitsempfinden der Polizei wichtig. Vermehrte Streifengänge sollen es stärken. Seit Jahresbeginn sind mehr Beamte zu Fuß im Zentrum unterwegs. Allerdings „können wir das auf Dauer nicht halten“, sagt Weinstock. Die Kapazitäten fehlen andernorts, beispielsweise bei Fußballspielen.

Unabhängig von den aktuellen Zahlen und dem subjektiven Empfinden steht mathematisch fest: Im Fünf-Jahres-Vergleich hat die Zahl der Straftaten 2014 ein Rekordniveau erreicht. Dies gilt insbesondere für Ladendiebstahl, Sexualstraftaten und die Straßenkriminalität insgesamt. Die Furcht vor Raub oder Gewalt ist hingegen statistisch unbegründet. Die Zahlen der Jahre zuvor pendeln um die für 2014. Dies betrifft Stuttgart insgesamt genauso wie die Stadtmitte insbesondere.