Fritz Kuhn im Kennedy-Stil: Die Stuttgarter sollen sich mehr um ihre Stadt kümmern . Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Oberbürgermeister Fritz Kuhn entwickelt eine besondere Form des Lokalpatriotismus und nimmt die Stuttgarter in die Pflicht. Lokalchef Jan Sellner kommentiert.

Stuttgart - Fritz Kuhn hat gesprochen – im Sommerinterview mit unserer Zeitung –, und irgendwie klang er nach John F. Kennedy. Dessen berühmter Satz: „Frag nicht, was das Land für dich tun kann, frag danach, was du für dein Land tun kannst“, lag dem grünen Oberbürgermeister mehrfach auf der Zunge – wissend, dass viele schon vieles tun. Bei Kuhn hört sich Kennedy so an: Liebe Bürger, kümmert euch um eure Stadt! Tut was für Stuttgart!

Das geht los beim Thema Müll und Sauberkeit. Die Stuttgarter sollten sich stärker für eine saubere Stadt verantwortlich fühlen, meint Kuhn. Jeder Einzelne. Er selbst hat jüngst ein millionenschweres Antimüllkonzept vorgestellt, mit 100 zusätzlichen Reinigungskräften. Entscheidend ist für Kuhn aber, dass die 600 000 Stuttgarter ihrerseits für Sauberkeit sorgen. Das erinnert an „Let’s putz“, die legendäre Aktion von Kuhns Vorgänger Wolfgang Schuster, die Stuttgart einst fast so viel Aufmerksamkeit bescherte wie heute die Fahrverbotsdiskussion.

In der Praxis existiert die Kehrwoche noch

Jetzt also „Fritz putzt“ – auch in der Tradition der guten alten Kehrwoche, die Kuhns Vorvorgänger Manfred Rommel 1989 abgeschafft hat – vermutlich weil der Stuttgarter immer was schaffen muss, selbst wenn’s nur abschaffen ist. In Wahrheit existiert sie aber noch – zumindest in der Praxis, was Kuhn der Aufgabe enthebt, sie offiziell wieder einzuführen.

Die Stuttgarter können für ihre Stadt allerdings noch mehr tun, als den Kantel zu kehren, meint Fritz – JFK – Kuhn. Sie können Stuttgart grüner machen, indem sie ihre Balkone zum Blühen bringen. Unwillkürlich fallen einem die Substrattabletten ein, die das Rathaus beim Tag der offenen Tür verschenkte. „Urbane Gärten – gemeinsam Stadt gestalten“ steht auf dem Starter-Set, das „essbare Blüten für den Balkon“ verspricht.

„Das ist quasi patriotische Pflicht“

Und das ist noch nicht alles. Die Stuttgarter haben es nach Ansicht Kuhns auch in der Hand, die Luft in ihrer Stadt zu verbessern. Der OB empfiehlt dringend, sich bei der Wahl eines Zweitwagens für ein Fahrzeug mit E-Antrieb zu entscheiden. „Das ist quasi patriotische Pflicht.“ Diese Form von Lokalpatriotismus, zudem aus dem Mund eines Grünen-Politikers, hat unter den Stuttgartern einiges Aufsehen erregt und Widerspruch ausgelöst. Für viele Bürger stellt sich die Eingangsfrage hier eindeutig andersrum, nämlich: Was kann meine Stadt für mich tun? „Die Politik sollte dafür sorgen, dass E-Autos bezahlbar werden und auch die Bewohner in Wohnanlagen die Möglichkeit bekommen, E-Fahrzeuge aufzuladen“, schreibt ein Leser. „In unserer Tiefgarage gibt es keine einzige Steckdose.“

Das zeigt, worauf auch die Trendforscherin Marianne Reeb hinweist: Der Weg in die Stadt der Zukunft muss im Dialog mit den Menschen gestaltet werden. Verwaltung, Planer und Bürger sollten sich deshalb gemeinsam fragen, was sie für Stuttgart tun können. Kennedy ins 21. Jahrhundert übersetzt – das führt am ehesten zu überzeugenden Antworten.

jan.sellner@stzn.zgs.de