Vier Mitglieder der 15-köpfigen Gruppe, die sich für ein böllerfreies Silvester ausspricht (von links): Melanie Poschmann, Jürgen Geis, Inga Ritter und Gabi Kreder Foto: Holowiecki

Für die Tiere bedeutet es grässlichen Lärm, für die Kinderarbeiter in Asien schädliches Gift und obendrein verstärkt es das Feinstaubproblem: Feuerwerk. In Sillenbuch haben Bürger eine Initiative gegründet, die sich für ein Silvester ohne Knaller einsetzt.

Sillenbuch - Inga Ritter mag Silvester gern. Im Kreise guter Freunde zu feiern, findet sie wunderbar. Einmal zum Beispiel haben sie, ihr Mann Jürgen Geis und Freunde sich um Mitternacht verschiedene Trommeln geschnappt, sind in Alt-Sillenbuch auf die Straße gegangen und haben dort mit den Nachbarn gesungen, musiziert und getanzt. Das neue Jahr zu begrüßen, das ist für die Eheleute stets etwas Besonderes. Nur eines ist ihnen wichtig: Keiner soll darunter leiden müssen. Kein Mensch und auch kein Tier. Das heißt für sie in erster Linie, dass sie Raketen, Böller und sonstige Knallkörper seit jeher ablehnen.

Sorge um die Ohren der Tiere

Das Paar und viele seiner Bekannten stören sich an verschiedenen Aspekten dieser Silvestertradition. Zum einen sei da der Lärm. „Ich finde es schon ganz furchtbar laut“, sagt Inga Ritter, die sich aber weniger um ihre eigenen Ohren sorgt als um Tiere. Die 53-Jährige hat sich als Greenpeace-Mitglied mit dem Thema auseinandergesetzt und weiß, dass gerade für Wildtiere das Geknalle und die Lichtblitze eine Tortur sind: „Vögel fliegen oft aus Panik in solche Höhen, dass sie die Kraft verlieren und wie Steine wieder runterfallen. Ich will nicht wissen, wie viele umkommen.“ Schon an ihrer eigenen Katze sieht sie Jahr für Jahr, wie groß die Angst um Mitternacht ist. Stundenlang verkriecht sich das Tier.

Zum anderen sei da der Müll, der in der Partynacht einfach auf der Straße liegen bleibe. „Keiner fühlt sich verantwortlich“, sagt Jürgen Geis. Vor allem auch dort, wo die Straßenreinigung nicht hinkomme, finde sich noch Monate später Unrat.

Zudem warnt seine Gattin vor schädlichen Kleinstteilen, die zerbröseln und in den Boden gelangen. Laut Ritter kann auch krebserregendes Hexachlorbenzol in Raketen nachgewiesen werden. Schadstoffe, die in der Produktion von Mädchen und Jungen aufgenommen werden. Denn die Böller-Gegner haben recherchiert: In Indien, Bangladesch, auf den Philippinen und in Afrika arbeiten Kinder bis zu 14 Stunden täglich mit hochexplosivem, giftigem Material. „Nur so ist der niedrige Preis möglich“, gibt Geis zu bedenken.

Was den feinstaubgeplagten Stuttgartern besonders aufstößt: An Silvester werden bundesweit 12 000 Tonnen giftiger Substanzen in die Luft geblasen: 8000 Tonnen Feinstaub, 1500 Tonnen Kohlendioxid, 1200 Tonnen Schwefeldioxid, 200 Tonnen Kohlenmonoxid und Stickoxide, hat Inga Ritter herausgefunden. Und tatsächlich: Laut einer Auflistung der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz lag an Silvester 2015 die Feinstaubbelastung am Neckartor bei 139 Mikrogramm je Kubikmeter Luft. Der Tagesgrenzwert wird mit 50 Mikrogramm angegeben. „Und das alles für zehn Minuten Spaß“, sagt Gabi Kreder, eine Bekannte der Eheleute.

Diese Gründe hat etwa 15 Bürger aus Sillenbuch und Umgebung bewogen, aktiv zu werden. Sie möchten auf den „umweltschädlichsten Tag im Jahr“, wie sie es nennen, aufmerksam machen. „Wir wollen sensibilisieren“, sagt Gabi Kreder.

Feiern statt Feinstaub

Um andere für ihre Aktion „Feiern statt Feinstaub“ zu gewinnen, hat die Gruppe Flyer aufgelegt. Die sollen in Sillenbuch nach Weihnachten an die Haushalte verteilt werden. Außerdem wollen die Aktivisten möglich viele Bürger persönlich ansprechen, damit sie die Sache als Multiplikatoren weitertragen. Durch erste Gespräche mit Leuten fühlt sich Inga Ritter bestätigt: „Ich habe den Eindruck, dass die meisten das auch so wollen.“

Ganz verteufeln will die Gruppe Feuerwerke indes nicht. Gabi Kreder etwa bekennt: „Ich finde das auch schön.“ Jedoch sprechen sie und die anderen sich für punktuelle Spektakel aus, etwa von der Stadtverwaltung zentral am Schlossplatz veranstaltet. „Das wäre einzigartig. Und das könnte man auch Kindern gut erklären“, sagt sie.

Die Sillenbucher hoffen, möglichst viele für ihre Sache und den Verzicht auf Raketen begeistern zu können. Die diesjährige Aktion soll ein Anfang sein. Am 28. Dezember werden sich die Gruppenmitglieder mit Plakaten und Handzetteln am Sillenbucher Markt positionieren, um Passanten zu informieren, bevor sie in den dortigen Geschäften Böller kaufen gehen. Doch Inga Ritter und ihre Mitstreiter blicken schon in die Zukunft. Einen Freundeskreis oder einen Verein zu gründen, könnten sie sich gut vorstellen. Im nächsten Jahr. Also nach einem böllerfreien Silvester.