Foto: Sammlung Gohl

Vor 150 Jahren hat Georg Schöttle die Genehmigung zum Bau einer Pferdestraßenbahn erhalten.

Berg - Dass Stuttgart zu den ersten Städten in Deutschland gehört hat, in denen eine Pferdeeisenbahn fuhr, verdankt die Stadt Georg Schöttle. Der war ein Mann, auf den die Bezeichnung Unternehmer wirklich passte: Er unternahm etwas, auch gegen Widrigkeiten.

Geboren wurde Georg Schöttle 1823 in der Esslinger Straße 10 im Bohnenviertel. Der Vater führte einen Mehlhandel und eine Weinwirtschaft. Im nahen Waisenhaus ging er zur Grundschule, wechselte später an die Bauschule, wo er die theoretischen Grundlagen des Baufachs lernte. Seine Lehre machte er bei einem Steinhauer-Werkmeister. Nach der Gesellenprüfung zog Schöttle hinaus, arbeitete hier und da, bald schon nicht mehr als einfacher Handwerker, sondern als Polier und Bauleiter. Er organisierte die Erstellung von großen Gebäuden ebenso wie von Bahnstrecken. Mit noch nicht 30 Jahren gründete er seine erste Firma und verwirklichte ganze Eisenbahnprojekte.

Das alles ging nur mit großem Fleiß und zäher Energie. Den Zeitgenossen fiel aber auch auf, dass Schöttle immer darauf achtete, seine Vorhaben möglichst weitgehend mit lokalen Ressourcen zu verwirklichen. Neuen technischen Ideen aufgeschlossen, ließ er als erster Unternehmer Erdbewegungen mit Lokomotivbetrieb ausführen. Zudem scheint er eine glückliche Hand in der Auswahl von Partnern und Mitarbeitern gehabt zu haben.

„Einen außerordentlichen Genuß“, so schreibt der Schöttle-Biograf Eugen Dol-metsch, „bot dem Vielbeschäftigten das be-glückende Familienleben an der Seite seiner kernhaften, ihm ebenbürtigen Frau, einer geborenen Glaß“. Das Paar hatte acht Söhne und drei Töchter.

Die großen Auträge blieben aus, also gründete Schöttle ein Schirmgeschäft

Nachdem Schöttles Firma als Riesenaufgabe die Bahnstrecke Rheineck-Rorschach-St. Gallen und den Rorschacher Hafen vollendet hatte, kam er Ende der 1850er Jahre nach Stuttgart zurück. Weil dort größere Aufträge zunächst ausblieben, gründete Schöttle ein Schirmgeschäft. In Paris besorgte er Parapluie-Modelle nach dem letztem Schrei und ließ sie hier preiswert nachbauen.

1859 stieg er dann hierorts ganz groß ein: Er kaufte die riesigen Gebäude der stillgelegten Aktienbrauerei (Wilhelmstr. 14 A) und richtete darin eine regelrechte Baufabrik ein; Bauteile und ganze Häuser wurden hier vorproduziert. Da Georg Schöttle, nun einfach „Bau-Schöttle“ genannt, Steinbrüche, eine Ziegelei, eine Sägmühle, eine Parkettfabrik (am Stöckach) und Werkstätten für fast alle Bauhandwerke besaß, war er auch weitgehend sein eigener Lieferant. In gut zehn Jahren, bis 1870, soll der Betrieb nicht weniger als 20 Fabrikgebäude, 80 Wohnhäuser und zahlreiche öffentliche Bauten in Stuttgart und auswärts geplant und ausgeführt haben.

Daneben blieb dem Chef auch noch Zeit für andere Projekte. In Paris hatte er die Vorteile der Pferdeeisenbahn kennengelernt. So etwas wollte er nun auch in seiner Heimatstadt bauen. Von Fußgängern, Reitern und Kutschen aller Art viel benutzt, war der (ebene) Weg von der Innenstadt ins 1836 eingemeindete Berg mit seinen Bädern und Fabriken. Doch kaum jemand wollte hier eine Bahn, deren Schienen den gesamten sonstigen Verkehr, vor allem die Fuhrwerke, behinderten.

Die Stadt machte Auflagen, die das Projekt verteuerten

In seinem Band mit Anekdoten rund um die Straßenbahn erzählte Rolf Kern ohne nähere Quellenangabe, wie Schöttle trotzdem die königliche Genehmigung bekommen haben soll. Bei einem Empfang Wilhelms I. unter freien Himmel habe Schöttle einen von acht kräftigen Schimmeln gezogenen Pferdebahnwagen, begleitet von prachtvoll uniformierten „Bahnmitarbeitern“, auffahren lassen. Der König habe sich tags darauf nach der Bedeutung dieses Auftritts erkundigt, Schöttle habe seine Ideen erläutert – und wenige Tage später das allerhöchste Plazet in der Tasche gehabt. Das war 1862, vor nun 150 Jahren.

Doch die Stadt machte erhebliche Auf-lagen, die das Projekt verteuerten, mögliche Geldgeber sprangen ab. Sechs Jahre vergingen, bis die städtischen Vorgaben erfüllt oder abgemildert werden konnten und die Finanzierung über eine neu gegründete Aktiengesellschaft, die Stuttgarter Pferde-bahn-Gesellschaft, gesichert war. Während des Frühjahrs 1868 bauten Schöttles Spezialisten in nur fünf Monaten die Strecke vom Archiv nahe dem Charlottenplatz bis nach Berg. Am 28. Juli feierte man die festliche Eröffnung. Das kleine Stuttgart war, nach Berlin und Hamburg, die dritte Stadt reichsweit, die über ein solches modernes Verkehrsmittel verfügte.

Die weitere Geschichte sei schnell er-zählt. Die Schöttlesche Bahn weitete ihr Netz nach und nach aus und ging 1889 in die „Stuttgarter Straßenbahnen“ ein, die bis heute den öffentlichen Nahverkehr in der Landeshauptstadt besorgen. Schöttles Bauunternehmen soll, neben den „normalen“ Bauten, in den späten 1870er Jahren auch die Festungen von Straßburg, Spandau und Küstrin neu- und ausgebaut haben. Mit zunehmendem Alter zog sich Schöttle aus den Geschäften zurück und widmete sich seinen Weinbergen. Er starb betagt und hochgeehrt im Jahre 1897.