Wolf Kümmel vor seiner Apotheke in Stuttgart-Heslach Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wenn der Amtsschimmel wiehert, wenn Service ein Fremdwort ist oder eine Verkehrsregel Unsinn, wenn einem Ärgerliches, Absurdes das Leben schwer macht, ist unsere Serie „Muss das sein?“ der richtige Platz dafür. Heute: die Apothekenbetriebsordnung.

Stuttgart - Über die Stufen zur Alten Heslacher Apotheke im Stuttgarter Stadtteil Heslach hat sich bislang noch kein Kunde beschwert – auch kein Rollstuhlfahrer oder Gehbehinderter. Denn in Sitzhöhe ist am Gebäude eine Klingel angebracht. Wird die gedrückt, kommen die Mitarbeiter raus und bedienen den Kunden. So wie Wolf Kümmel, Inhaber der Heslacher Apotheke, handhaben es viele Apotheker in Stuttgart. Doch damit verstoßen sie gegen die Reglen zum Betrieb einer Apotheke.

In der 2012 novellierten Apothekenbetriebsordnung ist festgelegt, dass die Apotheken ihren Kunden einen barrierefreien Zugang ins Geschäft ermöglichen müssen. Um das zu gewährleisten, müsste Kümmel eine Rampe für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte bauen. Doch Kümmel hat Glück: Da die Rampe nicht mehr als sechs Prozent Gefälle haben darf, müsste sie so lang sein, dass sie mehr Hindernis im Straßenraum als Hilfe wäre. Deshalb hat ihn das Regierungspräsidium Stuttgart von der Auflage befreit. Kümmel, der auch Vorsitzender des Landesapothekerverbands Region Stuttgart ist, geht davon aus, das etwa 30 Prozent der 156 Apotheken in Stuttgart ebenfalls nicht barrierefrei sind und viele seiner Kollegen in den sauren Apfel beißen und für viel Geld nachrüsten müssen.

Ein Apotheker, der sich von einem Fachmann in Sachen Umbau beraten ließ, kam zu dem Ergebnis, dass „erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz und die Statik“ notwendig wären und aus diesem Grund das Problem nur durch einen Plattformlift gelöst werden kann. „Der kostet aber mehrere tausend Euro“, stellt er fest. Ob das Regierungspräsidium seinen Antrag auf Befreiung von den Vorgaben stattgibt, ist noch ungewiss. Zuschüsse zu Umbaukosten gibt laut Regierungspräsidium jedenfalls nicht.

Eine Befreiung von der Verordnung ist nach Angaben der Behörde nur in zwei Fällen möglich: wenn das Gebäude denkmalgeschützt und eine bauliche Veränderung mit dem Denkmalschutz nicht vereinbar ist, oder wenn die Nachrüstung zu Behinderungen für Passanten oder Verkehr führt. „Für eine Befreiung von der Verordnung braucht es ein Gutachten des Ordnungsamts oder aber der Unteren Denkmalschutzbehörde“, sagt Nadine Hilber, Sprecherin des Regierungspräsidiums. Zahlen, wie viele Apotheken bislang umgerüstet haben und noch umrüsten müssen, liegen bei der Behörde nicht vor. Dafür Angaben zu den Kosten für die Nachrüstung. Die sollen bislang im vierstelligen Bereich gelegen haben. Und wenn es teurer wird? Eine Deckelung gibt es nicht: „Da wird nach Augenmaß entschieden, ob der Aufwand gerechtfertigt ist“, sagt Hilber.

„Als ich zum ersten mal von der Verordnung gehört habe, konnte ich es gar nicht glauben“, stellt Kümmel fest. Eine Notwendigkeit für die Verordnung vor allem in der Landeshauptstadt sieht er schon deshalb nicht, weil die Apothekendichte in Stuttgart sehr hoch und die Mehrzahl barrierefrei ist. Er fürchtet, dass die Vorschrift für die eine oder andere Apotheke das Aus bedeuten könnte, zum Beispiel, weil ein Apotheker, der aufhören will, auf Grund der Verordnung keinen Nachfolger findet.

Auch Uwe Kriessler, Justiziar der Apothekenkammer Baden-Württemberg, sieht die Novellierung der Betriebsordnung kritisch. „Für die Arztpraxen gibt es eine solche Vorschrift nicht. Die müssen nur bei Neubauten barrierefrei sein“, sagt er und fordert, dass es mehr Ausnahmen von der Regel geben muss.

Zwar überprüfen Mitarbeiter des Regierungspräsidiums, ob die Vorschrift umgesetzt wird. Die Auflagen zur Barrierefreiheit seien jedoch weder straf- noch bußgeldbewehrt, sagt Hilber. Kriessler hofft nun, dass die Behörde bei der Durchsetzung der Vorschrift, die auf die Unterzeichnung der UN-Behindertenkonvention durch die Bundesrepublik zurückgeht, Augenmaß bewahrt. „Sonst haben wir an einem bestimmten Standort nicht nur keine barrierefreie, sondern gar keine Apotheke mehr“, stellt er fest.