Die A 8 bei Leonberg: Künftig wird eine vierte Spur vom Kreuz Stuttgart bis zum Engelbergtunnel Foto: Leif Piechowski

Es kommen zwar nicht mehr allzu viele Autos dazu, die Verkehrslawine nimmt aber auch so noch zu – vor allem, weil die Wege der Menschen immer länger werden. Die Staus im Ballungsraum können dennoch nur in kleineren Schritten bekämpft werden.

800 000 Pendler: Dreiviertel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Region Stuttgart arbeiten nicht an dem Ort, in dem sie wohnen. Das sind rund 800 000 Menschen, geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vor, die der Verband Region Stuttgart seinem Regionalverkehrsplan zugrunde legt. 800 000 Pendler machen viel Verkehr, egal, ob auf der Straße oder in Bus und Bahn. Und während sich der Freizeitverkehr, der das Gros aller Wege der rund 2,7 Millionen Bewohner des Ballungsraums ausmacht, über den ganzen Tag verteilt, bevorzugen die Pendler ganz bestimmte Uhrzeiten am Morgen und am Nachmittag. Dann ballt sich das Verkehrsaufkommen. Da hilft es auch nicht, dass es nur noch ein „ganz, ganz leichtes Wachstum“ auf den Straßen gibt, wie Verkehrsplaner Klaus Lönhard vom Verband sagt, und dass „auch der Schwerlastverkehr stagniert“. Die Entwicklung geschieht auf hohem Niveau: Stuttgart und die Region gelten als eine Stauhochburg Deutschlands, das Nadelöhr schlechthin, die A 8/A 81 zwischen Kreuz Stuttgart und Dreieck Leonberg, als eine der meistbefahrenen Straßen im Bundesgebiet. Die meisten Einpendler nach Stuttgart kommen aus Esslingen: rund 9400.

Neue Straßen

Im Nadelöhr findet sich die Krux der hiesigen Infrastruktur. Während viele Großstädte wie München oder Berlin über Fernstraßenringe um die Stadt verfügen, gibt es in der Region Stuttgart nur die A 8 und die A 81, wo oft schon eine kleine Panne fürs große Chaos sorgt. Weil es im Norden und Osten der Stadt keine entsprechende Verbindung gibt, quält sich dann auch der Fernverkehr häufig durch die Stadt – auf B 10, B 14, B 27 oder B 295. Weil das so ist, hält die Regionalversammlung nach wie vor an einem Nordostring zwischen Waiblingen und Kornwestheim und an einer Filderauffahrt von der B 10 bei Hedelfingen zur A 8 fest – obwohl der Bund die umstrittenen Pläne einst wie eine heiße Kartoffel fallen ließ und auch die grün-rote Landesregierung dagegen ist. Immerhin prüft der Bund dieses Projekt zurzeit noch einmal.

So belastet sind die Bundesstraßen in und um Stuttgart

Grün-Rot setzt beim Straßenbau auf bestehende Trassen und will dort so viel wie möglich bündeln. So hat sich Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) auch einem Ausbau der A 8 zwischen Leonberg und Wendlingen von sechs auf acht Spuren gegenüber offen geäußert. Zwischen Kreuz Stuttgart und Leonberg wird seit Jahresbeginn eine vierte Spur gebaut, in der Gegenrichtung gibt es sie de facto seit 2000. Infrastrukturdirektor Jürgen Wurmthaler vom Regionalverband befürwortet solche Maßnahmen: „Auf der einen Seite kann man sagen, dass eine solche Straße Verkehr anzieht, auf der anderen Seite bündelt sie den Verkehr eben auch.“ Deshalb will die Regionalversammlung die vorhandenen Autobahnen wenigstens auf drei oder sogar auf vier Spuren erweitern. Doch die Wunschlisten (siehe Grafik) sowohl des Landes als auch der Region sind länger, als es die Überweisungen aus Berlin eigentlich erlauben. Bauliche Verbesserungen wird es nur an wenigen Stellen geben. Als nächstes soll es in diesem Jahr an der B 14 zwischen Nellmersbach und Backnang-Waldrems losgehen.

Intelligente Steuerung

Im Juli 2012 sind die 21 Millionen Euro teuren Schilderbrücken mit den flexiblen Anzeigen auf der A 8 zwischen Leonberg und Wendlingen in Betrieb genommen worden, seit knapp drei Jahren können bei Bedarf auch die Standstreifen für den Verkehr freigegeben werden. Die Anzeige gibt es mittlerweile auch auf der A 81 zwischen Leonberg und Mundelsheim (Kreis Ludwigsburg). „Das Potenzial zur Staureduktion kann nicht automatisch ausgewertet werden“, sagt Edgar Neumann, der Sprecher des Verkehrsministers. Er geht aber davon aus, dass die Anlage den Verkehr flüssiger macht und – wo es nicht gelingt, weil einfach zu viele Autos da sind – durch rechtzeitige Warnungen zumindest Unfälle am Stauende vermeidet. Die Effekte der Freigabe des Seitenstreifens untersucht die Uni Stuttgart derzeit noch.

Verkehrsplaner Lönhard führt als Beleg für die Wirksamkeit eine vergleichbare Anlage an: „Auf der A 99 im Norden von München gibt es weniger Unfälle, Störungen und Staus.“ Sowohl Land als auch Region setzen auf weitere Maßnahmen intelligenter Verkehrssteuerung. Die Region etwa tüftelt mit 5,6 Millionen Euro von der EU an einer Mobilitätsplattform, deren Mitarbeiter nicht nur wissen sollen, welche Straßen verstopft sind, sondern auch, welche S-Bahnen voll sind oder an welchen Bushaltestellen noch Fahrgäste stehen. Bereits diesen Sommer soll ein Pilotprojekt starten, bei dem die freien P+R-Plätze an 15 S-Bahnhöfen an S 2 und S 3 im Rems-Murr-Kreis mobil angezeigt werden.

Die Vision

Jürgen Wurmthaler will den Bürgern klar machen, dass sie sich keine allzu großen Illusionen machen dürfen. „Wenn alle etwas zur gleichen Zeit wollen, Autofahren, werden wir die Staus nicht wegkriegen.“ Seine Chefin, Regionaldirektorin Nicola Schelling, glaubt, dass die Menschen deshalb künftig flexiblere Arbeitszeiten anstreben werden – wie sie etwa in der Partnerregion Northern Virginia heute schon im Trend seien. Mit Start und Ende in verkehrsarmen Zeiten. „Ich setze außerdem auf das Autonome Fahren“, sagt Schelling. Wenn die Autos ihr Tempo in ein paar Jahren selbst regelten, sagt Schelling, „wird der Verkehr störungsfreier sein“. Bis dahin geht es auch um den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs – aber das ist ein anderes Kapitel.