Auf der B 14 stadteinwärts kommt es oft zu Staus Foto: Lichtgut/Achim Zweygart

Wie kann der Verkehr in Städten sauberer werden? Der Stuttgarter Feinstaubalarm bringt bisher kaum einen Effekt. Das liege auch am zu komplexen Tarifsystem des VVS, das vereinfacht werden müsse, sagt der Autoexperte Professor Willi Diez.

Der Automobilexperte Professor Willi Diez im Interview
Herr Professor Diez, Sie sind viel mit dem Auto unterwegs. Was halten Sie vom Stuttgarter Feinstaubalarm?
Ihn auszurufen ist sicher subjektiv nachvollziehbar, aber Zeiten mit sehr hohen Luftschadstoffwerten sind stark wetterbedingt und eben temporär. Durch kurzfristige punktuelle Maßnahmen kann man nicht viel erreichen, das Auto stehen zu lassen bringt relativ wenig. Aber man muss sich mit dem Thema auseinandersetzen, denn Feinstaub ist gesundheitsschädlich. Dazu braucht es einen ganzheitlichen Ansatz, schließlich emittieren nicht nur Autos Schadstoffe.
Wenn 20 oder 30 Prozent der Autofahrer umsteigen würden, müsste sich das aber bei den Werten doch bemerkbar machen. Warum reagiert kaum jemand auf den Aufruf?
Das Problem ist, dass die meisten Pendler schlechte Alternativen haben. Ein gewisses Trägheitsmoment ist auch dabei, man ist an das Auto gewöhnt. Dann sind da noch die Kosten und der Zeitfaktor. Die Fahrpreise für Bus und Bahn sind hoch, wenn man keine Monatskarte hat.
Wie haben Sie es selbst beim Feinstaubalarm gehalten?
Ich wohne in der Alexanderstraße in Stuttgart und hatte einen Termin in Fellbach. Nachdem ich schon länger nicht mehr mit der S-Bahn gefahren bin, hatte ich Probleme mit dem Fahrkartenautomaten. Eine Frau hat mir geholfen, die richtige Zone zu finden.
Ist das System zu kompliziert?
Wer nicht so oft mit den Öffentlichen fährt, der braucht eine einfache Zonenregel. In anderen Großstädten ist sie auch einfacher, da gibt es nicht so ein Wirrwarr. Es genügt jedenfalls nicht, bei Feinstaubalarm nur den Autoverkehr zu erschweren, man muss den öffentlichen Nahverkehr auch attraktiver machen. Ein Ticket zum halben Preis, wie es mal angedacht war, könnte etwas bringen, am besten verbunden mit einem einfachen Tarifsystem.
Die Pendler sind das eine, aber auch der Lieferverkehr sorgt für Schadstoffe.
Der Lieferverkehr in Stuttgart braucht ein Gesamtkonzept. Der Online-Handel nimmt enorm zu, seit 2000 haben die Kurier-, Express- und Paketdienste um 60 Prozent zugelegt. Wir haben inzwischen bundesweit eine Milliarde Lieferungen von Online-Bestellungen pro Jahr. Natürlich ist das für den Kunden sehr bequem, aber es schadet den Städten, und der örtlicher Handel wird ausgehöhlt.
Wie sieht die Lösung aus?
Die Frage ist, ob man diesen Service, dass für jede Kleinigkeit der Lieferwagen kommt, in den Städten aufrechterhalten kann. Eine Alternative wäre der Ausbau dezentral platzierter Paketstationen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad gut erreichbar sind. Dort würde gebündelt angeliefert werden.
Ein Beitrag zur Umweltschonung sollen in Stuttgart auch Kaufanreize für Elektro-Taxen sein. Die Stadt will Geld geben.
Elektromobilität ist ein technisch wichtiger Ansatz. Mit E-Fahrzeugen könnte man die auspuffbedingten Emissionen und den Feinstaub reduzieren.
Soll man E-Mobilität deshalb mit einem Kaufzuschuss von 5000 Euro fördern?
Da liege ich mit meiner Meinung wahrscheinlich ein bisschen quer. Die Effekte eines solchen Zuschusses werden nicht so groß sein, wie man es sich erwartet. Die E-Mobilität kommt nicht nur wegen des Preises nicht in Gang, sondern auch wegen der sehr begrenzten Reichweiten und der begrenzten Infrastruktur. Mit einer direkten Kaufhilfe drehe ich nur an einer Schraube. Ich bezweifle, dass die Kaufprämie den großen Effekt bringen würde.
Was ist die Alternative?
Der bessere Weg wäre, gewerblichen Kunden Steuervorteile zu geben. Sie können in Flotten E-Autos gezielt einsetzen.
Aber muss der Staat eine prosperierende Industrie überhaupt fördern?
Für das Image ist die Förderung angesichts der Rekordgewinne tatsächlich nicht gut. Die Industrie kann auch selbst was tun. BMW beispielsweise bietet den Plug-in-Hybrid beim 2er billiger an als den vergleichbaren Benziner.
Was ist mit dem Ausbau der Infrastruktur?
Grundsätzlich müssen bei der Elektromobilität zwei Dinge anders werden: die Tankzeiten und die Infrastruktur. Die Autos müssen sich in 15 Minuten laden lassen. Das wird aber noch vier bis fünf Jahre dauern. Dann braucht man Schnellladestationen. Wenn die Bundesregierung Geld ausgeben will für E-Mobilität, soll sie ein Sonderprogramm Infrastruktur auflegen. Das wäre sinnvoll angelegtes Geld. Auch alternative Lademöglichkeiten über Induktionsschleifen müssten geprüft werden. Ich fahre relativ viel mit dem E-Auto, diese dauernde Steckerei mit Kabeln ist steinzeitlich.
Was würde ein Siegeszug der E-Mobilität für die Städte bringen? Die Zahl der Autos würde doch nicht zurückgehen.
Nein, aber die Lebensqualität würde auf jeden Fall steigen. Viele Wohnstandorte an Straßen, vor allem an Durchgangsstraßen, würden aufgewertet werden. Damit könnte man ganze Stadtviertel wieder als Wohnquartiere aufbauen. Für die Luftqualität wäre der Fortschritt messbar, man hätte lokal deutlich weniger Emissionen. Und die Lärmbelästigung würde deutlich reduziert werden, auch wenn die Zahl der Autos gleich bliebe.
Stuttgart ist mit Daimler und Porsche die Autostadt. Was sollte man von den Herstellern und der Stadt erwarten?
Der globale Automarkt verändert sich. Es gibt eine Urbanisierung. Da wird die Frage wichtiger, welche Autos wir für die Städte brauchen. Mercedes war mit dem Smart früh dran, ja im Grunde der Zeit voraus. Die meisten Fahrzeuge werden in extrem belasteten Großstädten genutzt, siehe China. Es wäre gut, wenn wir in Stuttgart eine Vorbildrolle übernehmen, wie das stadtgerechte Auto aussehen sollte und nicht, wie die autogerechte Stadt aussehen soll.
Neben der Elektrifizierung ist das autonome Fahren ein Zukunftsthema. Ist es Teil der Lösung der Verkehrsprobleme, oder bringt es uns dem Kollaps näher?
Das Thema verstehe ich vor allem als Kombination aus Carsharing und autonomem Fahren. Ich bestelle also mit dem Smartphone das Auto, das steht zehn Minuten später vor meiner Tür, fährt mich zur Besprechung und dann zum nächsten Kunden. Nach der Besprechung fährt mich ein anderes Auto zurück. Die Auslastung der Fahrzeuge wäre so deutlich höher als heute, also bräuchte man weniger Autos.
Aktuell haben die Hersteller ja noch auf einem anderen Feld zu kämpfen, dem der Abgasreinigung. Eine ordentliche kostet weniger als ein Satz Alufelgen. Warum haben die Hersteller dennoch an der Umweltverträglichkeit gespart? Daimler ist ja nun auch in den Blick geraten.
Man muss da immer klar unterscheiden: Hat ein Hersteller bewusst manipuliert, oder hat er die Bedingungen für den Verbrauchstest voll ausgenutzt? Das Erste hat VW gemacht, und das ist natürlich indiskutabel. Bei Daimler hat bislang niemand Manipulationen nachweisen können, und deshalb gilt für mich da ganz klar die Unschuldsvermutung.
Klar ist, dass die Politik es den Herstellern in der Vergangenheit leicht gemacht hat. Die Autoindustrie konnte mit den alten Testbedingungen auf dem Prüfstand gut leben, aber jeder wusste, dass die mit der Realität nicht viel zu tun haben. Daher hat sie nun ein Glaubwürdigkeitsproblem. Jetzt kommen Testmethoden, die näher an der Realität sind. So gesehen hat der Skandal seine positive Seite.
Die Landesregierung will die Umweltzonen weiterentwickeln und fordert die blaue Plakette ab Euro 3 für Benziner und ab Euro 6 für Diesel. Ist die Plakettenregelung das richtige Werkzeug für weniger Schadstoffe?
Das System der Umweltzonen muss man weiterentwickeln, und zwar an dem, was technisch möglich ist. Man kann den Diesel heute extrem sauber machen. Bei den Plaketten würde ich das Ampelsystem belassen. Man kann die Einordnung der Fahrzeuge ändern. In einigen Jahren würden dann Autos mit grüner auf die gelbe Plakette zurückgestuft werden. Wichtig ist, dass so etwas vorausschauend mit einigen Jahren Vorlauf angekündigt wird. Nur dann können sich Industrie und Kunden darauf einstellen.
Was fahren Sie selbst für ein Auto?
Mein Sommerauto ist ein Porsche 911, im Winter ist es ein BMW. Ansonsten bin ich sehr viel mit den elektrischen Testfahrzeugen unserer Hochschule unterwegs. Meine Studenten sagen dann immer, der Prof. muss seine Kohlendioxidbilanz ausgleichen. Das stimmt aber nicht. Ich fahre gerne elektrisch, vor allem, weil diese Autos unheimlich viel Fahrspaß vermitteln.