Jugendliche würden sich vermehrt mal in dem einen, mal in dem anderen Bezirk treffen, um zu feiern oder auch, um ihre Konflikte auszutragen, sagt Terje Lange, Leiter vom Helene P. Foto: dpa

Ein Jugendlicher hat einen 15-Jährigen an der Roßhaustraße in Stuttgart-Degerloch geschlagen und beklaut. Beide waren mit Jugendgruppen unterwegs. Nun denken viele im Stadtbezirk darüber nach, was hinter diesem Vorfall stecken könnte.

Degerloch - Die Polizei sagt kategorisch Nein. Es gebe keine Erkenntnisse über Jugendbanden, die es verstärkt nach Degerloch zieht. Vor wenigen Tagen wurde ein 15-Jähriger an der Roßhaustraße geschlagen und beklaut. Unweit der Versöhnungskirche trafen laut Polizei zwei Gruppen von jeweils circa 20 Jugendlichen aufeinander. Zwischen dem 15-Jährigen und dem Täter entwickelte sich ein Streit um Alkohol. Der Ältere ohrfeigte den Jüngeren und entriss ihm einen Rucksack, der einen Bluetooth-Lautsprecher enthielt.

Dass der Jugendliche erst Stunden später die Polizei einschaltete, erleichtere nun die Fahndung nicht, sagt Polizeisprecher Tobias Tomaszewski. Aus der Sicht der Polizei stehe dagegen fest, dass es keinen Zusammenhang gebe zwischen der Tat und gewalttätigen Jugendbanden. „Dafür gibt es überhaupt kein Anzeichen“, sagt er. Terje Lange, Leiter des Jugendhauses Helene P. an der Oberen Weinsteige, hat nach dem Überfall auf den 15-Jährigen auch einen Anruf von der Polizei erhalten. „Sie haben gefragt, ob wir den Täter kennen. Aber ihre Personenbeschreibungen waren so vage, dass sie auf die Hälfte der Jugendlichen zutreffen“, sagt Lange.

Zurzeit zieht es viele Jugendlichen nach Stuttgart-Degerloch

Der Leiter des Degerlocher Jugendhauses teilt die Ansicht der Polizei nicht, dass Degerloch kein Anziehungspunkt für Jugendcliquen ist. Er beobachte sehr wohl, dass Gruppen von Jugendlichen verstärkt nach Degerloch kommen. „Das sind Jugendliche aus Heslach, Birkach und anderen Bezirken. Die treffen wir auch bei uns“, sagt Lange. Er spricht von wechselnden Anziehungspunkten in der Stadt für Jugendgruppen. „Im Moment scheint es Degerloch zu sein. Morgen wird es wieder ein anderer Bezirk sein“, sagt Terje Lange.

Warum ein Bezirk plötzlich Jugendliche aus der ganzen Stadt anzieht, um nach einer Zeit nicht mehr angesagt zu sein, könne oft niemand genau erklären, sagt Lange. „Vieles hat mit den sozialen Netzwerken zu tun. Die Jugendlichen nutzen Whatsapp oder Facebook, um sich zu verabreden“, sagt Lange. So könne es sein, dass sich wie im Schneeballeffekt herumspreche, dass ein Bezirk als Treffpunkt für Partys aber auch als Ort für das Austragen von Konflikten zwischen Gruppen gelte.

Terje Lange hat noch eine andere Vermutung, warum Degerloch bei vielen Jugendlichen in der Stadtbeliebt ist. „Wir haben es geschafft, sehr viele Mädchen an uns zu binden. Bei uns beträgt der Mädchenanteil 50 Prozent. Bei anderen Jugendhäusern liegt er meist nur bei einem Drittel“, sagt Lange. Viele Mädchen seien seit Jahren im Jugendhaus. Nun seien viele in der Pubertät. „Das spricht sich rum unter den Jungs in der ganzen Stadt“, meint Lange.

Mehr Kontrollen in Stuttgart-Degerloch gefordert

Viele junge Männer würden gerne in Degerloch feiern, in der Hoffnung Mädchen zu treffen, sagt er. Wo viele Jugendliche sich aufhalten, seien dann auch Mitglieder von Banden dabei. Ob der Überfall auf den 15-Jährigen etwas mit einem Streit zwischen Banden zu tun gehabt habe, ist auch für Lange offen. Das müsse die Polizei klären, meint der Pädagoge.

Bezirksvorsteherin Brigitte Kunath-Scheffold wünscht sich, dass die Polizei mögliche Aktivitäten von Jugendbanden im Bezirk gründlich untersuche. „Das müssen wir sehr ernst nehmen. Die Polizei sollte Degerloch in ihre Schwerpunktüberwachung miteinbeziehen“, fordert Kunath-Scheffold. Dies gelte auch, wenn der Vorfall an der Roßhaustraße nichts mit Jugendbanden zu tun haben sollte, meint sie. „Da gilt: Wehret den Anfängen“, sagt die Bezirksvorsteherin.