In fünf Jahren, wenn die ersten Schüler Prüfung in den neuen Gemeinschaftsschulen machen, wird sich zeigen, ob sie in ihren Leistungen gestärkt worden sind. Foto: dpa

Matthias Kaiser, der ehemalige Rektor der Fasanenhofschule, ist stellvertretender Leiter des Staatlichen Schulamts. In dieser Funktion ist er an der Umwandlung der Werkrealschulen zu reinen Grund- und Gemeinschaftsschulen beteiligt.

Stuttgart - Während im Mai und Juni Baden-Württembergs Haupt- und Werkrealschüler über ihren Abschlussprüfungen schwitzen, geraten in den für sie zuständigen Ämtern Verwaltungsbeamte in eine heiße Phase: Sie müssen die Weichen für die Zukunft der Lehrer stellen, deren Schulstandorte aufgegeben werden. Einer dieser Weichensteller ist Schulamtsdirektor Matthias Kaiser.

Der ehemalige Rektor der Fasanenhofschule arbeitet seit sieben Jahren im Staatlichen Schulamt Stuttgart. Als stellvertretender Leiter ist er auch damit befasst, die Umwandlung einiger Werkrealschulen zu reinen Grundschulen oder künftigen Gemeinschaftsschulen zu begleiten.

Arbeit an der Schnittstelle von Pädagogik und Verwaltung

„Es ist viel Arbeit, aber es macht Spaß, an der Schnittstelle zwischen Pädagogen und Verwaltung tätig zu sein“, sagt Kaiser. Mit seinem grauen Pferdeschwanz entspricht er, wie er selbst sagt, ganz und gar nicht dem „klassischen Bild vom Schulrat, für den früher der rote Teppich ausgelegt wurde“. Doch das funktioniert in der komplexen Welt, in der wir leben, sowieso nicht mehr.

Komplex sei es vor allem für die Haupt- und Werkrealschulen geworden, an denen Schülerinnen und Schüler neben dem qualifizierten Hauptschulabschluss eine Prüfung absolvieren können, die dem mittleren Bildungsniveau entspreche. „Das System sollte für mehr Durchlässigkeit sorgen und Spätzündern einen guten Abschluss ermöglichen“, erklärt Kaiser und ergänzt: „Das hat auch wunderbar geklappt.“

Schulstandorte stehen vor der Aufgabe

Dennoch hat die Werkrealschule – wie die Hauptschule insgesamt – in den vergangenen Jahren drastisch an Interessenten verloren. „Das Modell wird von den Eltern nicht mehr so akzeptiert“, sagt Kaiser. Für das kommende Schuljahr sind bisher nur 279 Anmeldungen für die Werkrealschulen registriert, und so müssen von 32 Standorten 18 aufgegeben werden, indem sie in eine andere Schulart umgewandelt werden. „Die Eltern haben deutlich gezeigt, dass sie diese Schulform nicht wollen“, bedauert der ehemalige Rektor. Die Werkrealschule, so sagt er im Rückblick, sei zur Zeit ihrer Einführung ein Gewinn für die Schüler gewesen, weil sie sehr praxisbezogen und in enger Kooperation mit den Betrieben gearbeitet habe. Für die betroffenen Lehrkräfte werden Arbeitsmöglichkeiten an anderen Schulformen gesucht.

Aus seiner Sicht liegt die mangelnde Nachfrage weniger daran, dass die verbindliche Grundschulempfehlung für die weiterbildenden Schulen weggefallen sei, als an einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Aus der Wirtschaft kämen immer höhere Anforderungen, die Berufe würden anspruchsvoller, es gebe immer weniger klassische Anlernberufe.

Spannungs- und Entspannungsphasen

Folglich werde die Frage des Schulabschlusses wichtiger denn je. Welchen Abschluss Jugendliche erreichen, hängt in Deutschland aber stark von ihrer Herkunft ab. Für den ehemaligen Leiter einer Ganztagseinrichtung wie der auf dem Fasanenhof gibt es da nur einen Weg: die rhythmisierte Schule. Ganztagsschule, wie man auch dazu sagen könnte, findet Matthias Kaiser, klingt zu sehr nach Aufbewahrung. Er hält es aber für wichtig für die Mehrzahl der Kinder, dass an den Schulen zwischen Spannungs- und Entspannungsphasen gewechselt wird, dass Hausaufgaben in der Schule und nicht in der Familie gemacht werden, dass Schüler und Lehrer mehr Zeit miteinander verbringen und sich besser kennenlernen.

Die eigentliche pädagogische Antwort auf die Herausforderung unserer Zeit ist für ihn aber die Gemeinschaftsschule, in der individuelles und kooperatives Lernen im Mittelpunkt stehen, in der die leistungsstarken Schüler mit den schwächeren gemeinsam unterrichtet werden. Sind aber alle Lehrkräfte in der Lage, Hauptschüler wie Gymnasiasten gleichermaßen zu fördern? Das ist die Sorge, die vor allem Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems umtreibt. „Das Unterrichten von gemischten Gruppen ist Handwerkszeug, das man lernen kann“, sagt Kaiser, „das Entscheidende für eine gute Schule ist die Haltung der Lehrer den Schülern gegenüber. Sie sollten sie in ihrer Individualität wahrnehmen und stärken.“

Die Gemeinschaftsschule ist noch Zukunftsmusik

Aber die Gemeinschaftsschule ist noch Zukunftsmusik, in Stuttgart wurde in diesem Schuljahr die erste eingerichtet, weitere stehen in den Startlöchern, unter anderem die Anne-Frank-Realschule in Möhringen (wir berichteten ausführlich). Die Wahlmöglichkeit der Eltern sei also weiterhin gegeben: „Keine Schule wird gezwungen, Gemeinschaftsschule zu werden, auch nicht heimlich“, sagt Kaiser. Es werde sich erweisen, ob das Konzept in die Wirklichkeit umzusetzen sei: „In fünf Jahren, wenn die ersten Schüler Prüfung machen, werden wir sehen, ob sie in ihren Leistungen gestärkt worden sind.“