Der Salzberg des Kirchentags im Jahr 1999 auf dem Schlossplatz Foto: Uli Kraufmann

52, 69, 99 und 2015. Kein WM-Hit der Sportfreunde Stiller ist’s – es sind die Jahreszahlen der Kirchentage in Stuttgart. Das Stuttgart-Album erinnert an die Losungen, Protagonisten und Streitfälle der Vergangenheit. 1969 gab’s Konkurrenz von ganz oben: Als sich die Gläubigen trafen, betrat der erste Mann den Mond.

Stuttgart - 52, 69, 99 und 2015. Kein WM-Hit der Sportfreunde Stiller ist’s – es sind die Jahreszahlen der Kirchentage in Stuttgart. Das Stuttgart-Album erinnert an die Losungen, Protagonisten und Streitfälle der Vergangenheit. 1969 gab’s Konkurrenz von ganz oben: Als sich die Gläubigen trafen, betrat der erste Mann den Mond.

Richard von Weizsäcker, das spätere Staatsoberhaupt der Bundesrepublik, war 49 Jahre alt, als er in seinem Geburtsort Stuttgart hören musste, hinter dem Mond zu sein. Fünfeinhalb Stunden vor dem Eröffnungsgottesdienst des 14. Deutschen Kirchentag (Losung: „Hunger nach Gerechtigkeit“) startete am 16. Juli 1969 das US-Raumschiff Apollo 11. Wie der „Spiegel“ damals schrieb, schwieg von Weizsäcker als Präsident des großen Protestantentreffens pikiert, als ein Zeitungsreporter von ihm wissen wollte: „Haben Sie eigentlich die Nasa gebeten, den Mondflug zu verschieben?“

Auf Erden ging es zu Zeiten der Studentenunruhen auch nicht langweilig zu. Auch in Stuttgart betrat man Neuland – beim „fraglos politischsten aller Kirchentage“, wie ihn Richard von Weizsäcker beschrieb, knallten die Gegensätze des Glaubens aufeinander. Es war der Kirchentag des Streits und der endlosen Diskussionen. Studenten blockierten den Zugang zu Veranstaltungen. Der Soziologe Ralf Dahrendorf stellte sich ihnen. Auf einem Transparent stand: „Ordnungsrecht und Drittes Reich - Deutsches Recht bleibt immer gleich .“

Im pietistischen Württemberg besannen sich, wie die Stuttgarter Nachrichten schrieben, die „in Bibelfrömmigkeit zugeknöpften Konservativen“ auf eine neue Taktik: Schon in den Vorbereitungsgremien hatten sie auf Programm und Pressearbeit so gründlich Einfluss nehmen wollen, dass der schwäbische Landes-Synodalpräsident Oskar Klumpp „Musterbeispiele falscher Selbstherrlichkeit und eine unbarmherzige Neigung zur Verketzerung des Andersdenkenden“ entdeckte und sein Amt niederlegte.

1999 wurde Stuttgart zu Salzgart

17 Jahre zuvor waren die Kriegsschäden noch allgegenwärtig, als die Protestanten der jungen Republik nach Stuttgart reisten. Die Losung des Kirchentags von 1952 lautete: „Wählt das Leben“. Die Bibel-Texte für die Arbeitskreise hatten die Befreiung aus der Unterdrückung zum Thema. Das Neue Schloss war noch eine Ruine. In der Stadt wurde diskutiert, ob man das einstige Domizil der württembergischen Könige plattmachen oder aufbauen sollte. „Wählt das Leben“ war mit Blick auf die Zerstörungen der Kriegsbomben ein klares Bekenntnis. Bei der Abschlussversammlung im Rosensteinpark sind etwa 200 000 Besucher geschätzt worden – ein neuer Kirchentagsrekord.

An ein Bild des Kirchentags von 1999 erinnert sich die meisten: an den weißen Hügel vom Schlossplatz. 450 Tonnen Salz, fünf Meter hoch, 15 Meter breit - der kleine Berg symbolisierte die Losung des 28. Evangelischen Kirchentages „Ihr seid das Salz der Erde“. Stuttgart wurde zu Salzgart. Das Kunstwerk war Treffpunkt, Begegnungszentrum, Streitpunkt – und erfüllte damit seinen Zweck. Die Stadt war von Frohnaturen bevölkert, die diskussionsfreudig und gut gelaunt überall Markt für Möglichkeiten sahen. Die heitere Stimmung in einer Stadt, die erobert wird, ist zum Vorbild für die folgenden Protestanten-Festivals geworden.

Jeder konnte sich ein Stück Kirchentag mit nach Hause nehmen – ein Säckchen mit dem Salz vom Schlossplatz, das drei D-Mark gekostet hat. Damit wollte man die Unkosten für den Transport und die Installation gedeckt werden. Das Salz-Symbol war der Aufruf, sich einzumischen, etwas Würze ins monotone Einerlei des Alltags zu bringen.

Die Losung des vierten Stuttgarter Kirchentags, der am 3. Juni in diesem Jahr beginnt, lautet: „damit wir klug werden“. Salz, Hunger nach Gerechtigkeit und die Wahl fürs Leben haben in der Vergangenheit den Weg zur Klugheit geebnet. Jetzt freut man sich in Stuttgart auf neue Glaubensstärke.

Die Bücher zu unserem Geschichtsprojekt Stuttgart-Album sind im Silberburg-Verlag erschienen.